Wie alles begann

Es waren die Insel-Dünndruckbände in der Bibliothek meiner Eltern, die mich zuerst in die Welt der Literatur ein- und entführten; den „Don Quixote“ las ich mit 14, Stendhals „Rot und Schwarz“ wenig später, in Dantes Göttliche Komödie steckte ich die Nase, blieb aber mehr an den imposanten Illustrationen von Doré hängen … Und dann war da ein Roman, auf Zeitungspapier von Rowohlt in Rotationsdruck gedruckt, eben rororo: „Der Frühling des Lebens“ von Marjorie Kinnan Rawlings., in dem ich zum ersten Mal von Süßkartoffeln las. Habe ich gar keine Kinderbücher geliebt? O ja, die schmalen Hefte aus dem Cecilie-Dressler-Verlag: „Heidi“, „Pu der Bär“, „Tom Sawyer“ – und vorher die „Häschenschule“, „Die Wurzelkinder“ und, natürlich, „Struwwelpeter“ – etwas später „Max und Moritz“, und in „Nils Holgerrsons Reise mit den Wildgänsen“ vergrub ich mich regelrecht und kannte die Provinzen Schwedens – Dalarna! – bald besser als die Länder Deutschlands, das zudem ja auch noch gespalten war. Und dann lief mir über den Weg, was meine Eltern als Schund bezeichneten: Hefte über den Zirkus- und Lassoartisten Billy Jenkins, ein Band Karl May mit dem Titel „Im Lande des Mahdi Teil II“ – und schließlich die ersten Micky-Maus-Hefte, monatlich eins für 75 Pfennig, gelegentlich ein heiß begehrtes Sonderheft – und alle enthielten die hinreißenden Geschichten von Donald, seinen drei Neffen, Gustav Gans, Onkel Dagobert und, nicht zu vergessen, die gern mal errötende Daisy, verfasst und gezeichnet von einem Künstler namens Karl Barks und übersetzt von Dr. Erika Fuchs, deren „Ächz!“, „Keuch!“, „Stöhn“ als Erikativ in die deutsche Grammatik vorgedrungen ist. Karl Barks und nicht seinem Fastnamensvetter Karl Marx verdanke ich die erste Einsicht ins Wesen des Kapitalismus: Onkel Dagobert muss Geld loswerden, weil seine Speicher platzen, und wer wäre dafür geeigneter als Donal! Mit vollen Händen verteilt er es unter Pfadfinder, Indianer, superteure Hotels und Spitzenrstaurants – und was geschieht, als sie zu Dagobert nach Hause kommen? Es kommt säckeweise wieder herein, Grund: „Da ist irgendein Idiot durchs Land gefahren und hat in Ihren Restaurants teuer gespeist, in Ihren Hotels genächtigt, Ihre Auto- und Schuhfabriken mussten Sonderschichten einlegen …“ Wer reich ist, kann seinem Reichtum nicht entkommen, im Gegenteil, er kann nur immer noch reicher werden! Und dann enteckte ich im Regal meines Vaters „Die Räuber vom Liang-Schan-Moor“ und „Kin Pin Meh“, in der Bibliothek meinet Mutter die „Chinesische Flöte“, Nachdichtungen chinesischer Lyrik von Hans Bethge – und von da war es nicht mehr weit zum ersten noch lebenden Zeitgenossen, zu Hermann Hesses „Demian“, dem kaum verständlichen, aber gerade darum fesselnden „Glasperlenspiel“ und zu „Narziss und Goldmund“ … Die Begegnung mit Büchern war von da an weitgehend zufällig, gern las ich, was mir jemand auf den Tisch gelegt hatte, durch meine Drehbucharbeit begegnete ich Robert Walser – bis ich in höherem Alter die Notwendigkeit erkannte, mich mit bisher zu sehr vernachlässigten Bereichen auseinander zu setzen, insbesondere mit dem geheimnisvollen Argentinier Borges und seinen vielen Adepten, darunter dem wunderbaren Marquez, und in verschiedenen Lesekreisen versuchten und versuchen wir ein Gleichgewicht zu halten zwischen Neuerscheinungen und bewährten oder umstrittenen, wenn nicht gar zu verwerfenden Klassikern, die wir neugierig auch mal erneut lasen und lesen …

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