
Ein König Dänemarks,
sein Fleisch von Hamlets Degen beleidigt,
stirbt in seinem Schloss aus Stein, welches
das Meer seiner Piraten beherrscht. Erinnerung
und Vergessen weben die Fabel
eines anderen toten Königs und seines Schattens.
Saxo Grammaticus sammelt diese Asche
in seinen Gesta Danorum. Einige Jahrhunderte,
und der König stirbt wieder in Dänemark
und gleichzeitig durch merkwürdigen Zauber
in einem Verschlag in Londons Vororten.
Das hat William Shakespeare geträumt.
Ewig wie der Akt des Fleisches
oder wie die Scheiben des Morgenrots
oder wie die Figuren des Mondes
ist der Tod des Königs.
Ihn hat Shakespeare geträumt
und die Menschen werden ihn weiterträumen…
Jorge Luis Borges
Fengo
Strandhafer heut weisse Düne deckt,
wo vor noch nicht tausend Jahren stolz
des Horwendel Halle sich gereckt,
kunstvoll aufgeführt aus Eschenholz.
Beste Schnitzer schnitzten jeden Bolz,
und mit Drachenköpfen schmückten sie,
die aus Kupfer, das im Ofen schmolz,
trugen Kronen, wie man sie noch nie
sah im Norden, voller Glanz, schwarzer Magie.
Denn noch liehen, die dort lebten, nicht
Christi sanften Lehren gern ihr Ohr,
sondern hoben stolz das Angesicht
opfernd auf zu Freia, Odin, Thor.
Wer von ihnen einen Kampf verlor,
war verworfen von der Asen Macht,
doch den Sieger hoben sie empor,
ruhmlos eben noch in dunkler Nacht,
auf zum Odinsaug, der Sonne strahlnder Pracht.
Jütland oder Jylland, wie der Dän‘
nennt der Halbinsel gestreckte Zung,
war Horwendels angestammtes Lehn,
er beherrscht‘s in kluger Mässigung.
Denn Tyrannenlaunen sind der Dung,
darauf Unrecht und Gewalt gedeiht.
Bauern, Fischer, Krieger, alt und jung
liebten Eintracht und vermieden Streit,
denn der bringt den Menschen nichts als Weh und Leid.
König war er nicht, nur Gouverneur,
Statthalter für Rerik, der im Glanz
seines Ruhmes sass in Helsingör,
ihm die Tochter gab in Allianz,
dass er einheims ihren Jungfernkranz.
Hamlet ist der Ehe einzger Spross,
er wird König sein des ganzen Lands,
wenn letztmalig Rerik steigt aufs Ross
und sich einreiht in Walhallas Totentross.
Freilich weilte schon ein frommer Mann
in Horwendels metgetränkter Schar,
der darauf, sie zu bekehren, sann,
kam vom fernen Flandern, hiess Ansgar.
Doch wenn er das Wort ergriff, dann war
es mitnichten still im hohen Saal,
viele lachten und verhöhnten gar
ihn, der Thor verglich mit Belial –
er nahm Platz voll Wut und vor Erbittrung fahl.
So auch heute wieder, als er riet,
dem, der schlägt, zu bieten andre Wang.
Ausser sich vor Heiterkeit geriet
da die Reckenschar; nach Fassung rang
Ansgar und ihm wurde heimlich bang:
Diente er den Männern nur als Narr?
Und er zweifelte sekundenlang
an seiner Mission, vor Schrecken starr:
‚Hätt ich mich begnügt mit heim’scher Pfarr!’
Doch Horwendel, schwergewichtig, bleich,
dämpfte seiner Männer Heiterkeit
mit den Worten: „Hat nicht mancher Streich
dem, der ihn getan, gebracht mehr Leid
als Empfangendem? Gedenkt der Zeit,
als mein Bruder Fengo mich bekriegt,
ungerechten, bittern Bruderstreit
brechend vom Zaun. Dass er obsiegt
nicht hat, allein an meiner Sanftmut liegt.
Gleiches ich mit Gleichem nie vergalt,
trat zurück, wenn er das Schwert erhob,
hielt es aus, dass er vor euch mich schalt
in sinnlosem Eifersuchtsgetob.
Hoch und höher sich sein Ehrgeiz schrob,
hab ich ihn da fort von hier gebannt?
Nein, ich dachte drüber nach, wie Lob,
Ruhm und Ehre er erwürb. Gesandt
hab ich ihn auf Raub ins reiche Frankenland.“
„Danke, o Horwendel, dass du in
meinen Worten nicht nur Unfug siehst,
ihnen ablauschst wenn auch fremden Sinn,
nicht in Dumpfsinn und in Stumpfsinn fliehst.
Dich hat das Gesetz zum Herrn erkiest,
Fengo, jünger, hat nur Anwartschaft,
dass er dennoch dir dein Amt vermiest,
fast im Zorn dem Leben dich entrafft,
hat nur einen Grund: Euch fehlt der Liebe Kraft,
wie sie aus dem Nazarener quillt,
der versöhnend trat in diese Welt…“
Ansgar kommt nicht weiter, an den Schild
schlagen jetzt die Männer, denn es gellt
Lurenton vom Hafen, jeder schnellt
auf von seinem Sitz und eilt hinaus,
wo ein Bote ihnen, keuch! bestellt:
„Fengos Flotte liegt vor Reede drauss.
Er fragt an, ob ihn empfängt Horwendels Haus.“
Strahlend und voll Gier auf Goldgeschmeid,
hiess Horwendel brüderlichen Gruss
ihm entbieten: „Ruhen soll der Neid
und er soll empfangen Bruderkuss,
wenn sein Kommen mir nicht bringt Verdruss
und er von der Westsee bis zum Belt
meine Herrschaft anerkennt zum Schluss,
da er sich, ein weitgereister Held,
in den Dienst des jüt’schen Ruhmes hat gestellt.“
Zu den Drachenbooten übersetzt
nun der Bote. Als sich alles drängt,
aufs Geschwader blickend, sind entsetzt
viele Männer, denn in Fetzen hängt
Segelzeug von Rahen, und es krängt
manches Boot gefährlich, Ruder sind
abgebrochen, fehlen ganz – es mengt
ins Entsetzen sich Bewundrung lind:
Wie sie trotzten schwarzer See, hungrigem Wind!
Wenig später naht ein andres Boot,
darin steht ein flammender Koloss,
dessen rechten Schenkel, nass und rot,
eines Wundverbandes Weiss umschloss.
Dieser nun war ihrer aller Boss,
und er blickt’ zum Ufer voller Spott,
ihm entgegen führte man ein Ross,
darauf er sich schwang, und hü! und hott!
ritt zur Halle er, er ein wahrer Schlachtengott.
Als Horwendel ihn erst kommen sah,
hört’ er ihn schon rufen: „Hollaho!
Bist du altes Wrack noch immer da?
Na, da bin ich aber wirklich froh!“
Springt vom Pferd, knickt ein und poltert: „O!
Loki hole mich – wie weh das tut!
Bitte sage mir, Horwendel, wo
hast du den Willkommenstrunk, der‘s Blut
mir verdünnt – und wo steckt Schwägerin Gertrud?“
„Gertrud bittet um Entschuldigung,
weil sie Kopfschmerz mit des Schwerts Gewalt
hat getroffen mit so bösem Schwung,
dass sie sich verzog in Laken kalt.
Sag mir nun, aus welchem Hinterhalt
einen Krieger man verwundet hat,
dem im offnen Kampf niemand Einhalt
jemals böte, ohne dass er platt
würd gemacht von ihm mit scharfer Klinge Blatt.“
„Merkst du nicht, Horwendel, wie dein Geiz
dir schon wieder spielt nen üblen Streich?
Ich hab Durst! Nur Met hat für mich Reiz –
warst du früher nicht an Fässern reich?
Ach, nun lass schon – mir ist alles gleich,
gib dir keine Mühe, denn ich bin
gar nicht durstig mehr, nur knochenweich.
Mir steht jetzt nach einem nur der Sinn:
auf nen Strohsack wie ein Stein zu fallen hin!“
„Hast du denn an Beute nichts gebracht,
nicht das kleinste Mitbringsel für mich?
Wozu hab ich dich zum Boss gemacht?
Wenn du Geiz sagst, denk zuerst an dich!“
Aber Fengos Kraft ganz schnell verblich,
Männer brauchte es im ganzen sechs,
die hinein ihn trugen, Wegerich
legte auf die Wund ihm Kräuterhex
und so manches andre heilsame Gewächs.
Hamlet, Rawil, Raissa
Dort, wo abgegrenzt und eingekreist
mit dem Mehl, das scharfes Sägeblatt
aus dem weichen Holz von Birken reisst,
lag die weiss bekieste Kampfesstatt,
massen sich und wurden nimmer matt
Hamlet und Rawil im Schwertkampf,
wurden nicht der Hieb und Stiche satt,
erderschütternd war ihr Fussgestampf –
aufstieg sauren Männerschweisses heisser Dampf.
Als mit einer Finte Rawil nun gesiegt
und die Schwertspitz drückt’ in Hamlets Kehl‘,
fiel so flüchtig, wie ein Vogel fliegt,
auf sie Frauenschatten ohne Fehl.
„Was war das?“ rief Hamlet, „meiner Seel,
Freya selber wohl vorüberging!
Wessen brauner Fuss war‘s? Nicht verhehl
ihren Namen, die passiert den Ring!“
Lachend nannte Rawil sie ein dummes Ding.
Doch sie kam zurück mit ‘nem Tablett,
darauf sie zwei Humpen Metes trug,
setzt’ es ab und nähert’ sich Hamlet,
dessen Augen sie mit Dunkel schlug.
Mochte Hamlet sein auch noch so klug,
wer ihn blendete, erriet er nicht,
weshalb er: „Wer bist du?“ zaghaft frug
und sie bat: „Befreie mein Gesicht!“
In der Lieb‘ es Männern oft an Mut gebricht.
Dann die Rosenfinger lösten sich
von den Augen, die in grossem Glück
auf zu ihr sahn, die ihm königlich
sandt hinab der Mandelaugen Blick,
die ihm warfen seinen Blick zurück,
der jedoch an ihrer Brüste Stolz
einen Halt fand, der ihm Schauer schuf,
denn da lag vorm Tor viel gutes Holz,
zu erquicken ihn war sein Behuf,
aber an sein Ohr drang Rawils rauher Ruf:
„Siehst du nicht die Fliege? Bist du blind?
Sie umsurrt dich schon die ganze Zeit!“
Es war eine jener Bremsen, die das Rind
in den Wahnsinn treiben, dass es schreit
und davonrast vor des Stiches Leid.
Dieser aber war der Leib beschwert
mit ‘nem Strohhalm, den sie schleppte, seit
sie Rawil hatte damit bewehrt,
ihr verschaffend einen langen gelben Stert.
„Dieses ist ein Trick aus Tatarstan,
den mein Mütterchen mich hat gelehrt.
Sollte einmal dir was Böses nahn,
warnt dich eine Bremse, so bewehrt.“
Aber Hamlet, tief am Herz versehrt,
war versunken in des Mädchens Bild,
niemals noch hat er ein Weib verehrt
mit ‘nem Habenmüssen gar so wild,
das nur Schicksal und kein Turteln, Küssen stillt.
Mühsam riss Horwendels Sohn den Blick
von dem Antlitz, das ihn so behext,
kehrte in die Wirklichkeit zurück
und vernahm Rawils warnenden Text,
sah die Bremse, der erstaunlich wächst
aus dem Hinterleib ein Glied von Stroh,
und sprach zum Tataren: „Warum heckst
du auch immer Dinge aus, die so
mich entzünden, dass ich brenne lichterloh?“
Denn aus Rawils Mandelaugen traf
ihn derselbe spöttischschöne Strahl,
der ihm rauben sollte süssen Schlaf
und bereiten seinem Herzen Qual,
wie er glänzte sanft und triumphal
in des Mädchens Blick so sittsam weich,
und zugleich so hart wie blanker Stahl,
dass dem Prinzen klar wurde sogleich:
sie ist Rawils Schwester, schönheitsreich.
Wie mit Anmut sie die Humpen nun
bot dem Durst der beiden Kämpen dar,
bat Hamlet sie, ihm Bescheid zu tun,
was sie lachend tat, schüttelnd das Haar.
Hamlet aber frug sie: „Warum war
unsre Halle gar so lang verwaist,
deines holden Daseins schmerzlich bar,
wohin warst du Liebliche verreist?“
„Ich kann nimmer glauben, dass du das nicht weisst!“
sprach sie, und sie mied beim Trinken nicht
jene Stelle an des Humpens Rand,
wo der Prinz getrunken; ihr Gesicht
glänzte froh, als sie die Worte fand:
„Du weiss wohl, dass ich, aus niederm Stand,
dorthin gehen muss, wohin Befehl
meines Herrn Horwendel mich entsandt.
Dass ich ungern folgte, das verhehl
ich durchaus nicht Jütlands strahlendem Juwel!
Denn am liebsten hätt ich mich erkühnt,
deinem Wohlergehn mich ganz zu weihn,
doch versöhnt hat mich‘s, dass ich gedient
ihm, dem König, Muttervater dein.
Dreimal täglich stellte Brot und Wein
Rerik ich, dem ruhmbedeckten, hin,
doch er trank nichts, ass ein Bröckchen klein,
immer spitzer wurde sein einst volles Kinn,
Arges wähnte, Gift und feigen Mord, sein Sinn.“
„Bitte sag mir morgen mehr davon,
und begleite uns auf die Sauhatz,
du zurückgekehrte Freudensonn,
teuerster und ungehobner Schatz!
Denn es wird gleich sein mein Arbeitsplatz
dort die Halle, wo sich heute schart
und das Fass leert bis zum Bodensatz
Jütlands Männerflor um Fengos Bart,
denn er kam zurück von kühner Kaperfahrt.
Doch bevor du gehst, erinner mich:
War Raïssa nicht der Name dein?
Darf ich nennen bei dem Namen dich?
Du errötest.“ „Nur der Sonne Schein,
die im Westen über Möwenschrein
rötlich sinkt, Raïssas Wange färbt,
die nichts will als deine Treuste sein!“
Sie sprach anmutig und unverderbt –
o wie wurde Hamlets Herz gewalkt, gegerbt!
Fengo, Hamlet, Horwendel
Unter Keilerköpfen, Hirschgeweihn
und noch manchen anderen Trophän,
sah man Recken viel in langen Reihn
neugierig nach vorn zur Tafel spähn:
Ob das Brüderpaar sie heute sähn
einträchtig oder wie früher schon,
einand böse zeigend Zornes Zähn,
Fengo sich ergehnd in bittrem Hohn –
es bediente heute sie Horwendels Sohn.
Wie mit Anstand, kraftvoll und doch sacht,
er die Humpen füllt’ mit samtnem Met,
hat so mancher still bei sich gedacht:
„Wahrhaft königlich ist‘s, wie er geht,
und wie gut ihm seine dunkle Matte steht
und der Flaum, der auf der Lippe keimt!
Doch der Wind ihm hart ins Antlitz weht –
sieh nur, wie jetzt Fengo ihn umschleimt –
wundert‘s irgendwen, wenn er den Neffen leimt?“
Auf der Beute aufgehäuften Glanz
wies voll Freude Fengo Hamlet hin:
Schmuck, Zimelien des Frankenlands,
Edelsteine, eingelassen in
Gold und Silber, Bronze, edles Zinn,
Kleider auch, Gewürz und Düfte schwer,
Hamlet aber sah‘s mit kaltem Sinn,
bot an, Fengo einzuschenken mehr,
Reichtum weckte in ihm keinerlei Begehr.
Voller Vaterstolz Horwendel sprach:
„Macht er, lieber Bruder, das nicht toll?
Bitte, Hamlet, hier den Humpen – mach
ihn noch einmal mir mit Starkmet voll!“
„Ich weiss nicht, ob ich ihn loben soll,“
Fengo rief. „Wenn ihm im Waffenwerk
gleicher Ruhm wie hier als Schenk erscholl,
will ich ihn als Mann – ja, ich verberg
meine Zweifel nicht – ansehn, nicht mehr als Zwerg.“
Hamlet schlug die Augen nieder, schwieg,
trat nicht in des Eigenlobes Mist,
so erfocht er einen zweiten Sieg
über seines Oheims schlaue List.
„Wenn dein Humpen leergetrunken ist,“
bot er Fengo an, „ich fülle ihn!“
„Danke, nein. Wie lang noch währt die Frist:
Hälsingör, wann werden wir hinziehn,
dich zu kleiden in geschwänzten Hermelin?“
„Mutters Vater ist zwar hochbetagt,“
sagte Hamlet drauf, bedenkend wohl,
was Raïssa eben ihm gesagt,
„doch ich hoff, dass Hel ihn nimmer hol!
Ich bin vorerst nur ein junges Fohl’,
keinesfalls gewachsen Dänmarks Kron,
sie bedarf der Weisheit Aureol,
allzu leicht verfällt sie sonst dem Hohn,
erbt sie eitler Enkel, nicht erfahrner Sohn.“
Damit spielt’ er auf Horwendel an,
der als Reriks Schwiegersohn aufs Recht
an der Krone oft begehrlich sann,
jetzt jedoch ist er schon zu bezecht,
um noch durchzustehn ein Wortgefecht.
Dumpf die Trommel dröhnt, die Leier dreht
Marschalk Onyx sicher, kunstgerecht,
goldner Schwall von Tänzerinnen weht
in die Mitt zum Reigen, und es strömt der Met.
Fengo hat die Mädchen aus Paris,
reicher Hauptstadt Frankens, mitgebracht,
der er abnahm allen ihren Kies,
als er‘s plünderte in nasser Nacht.
Und nicht nur an Gold hat er gedacht,
sondern auch an hübscher Frauen Reiz,
hat ein paar Theater leer gemacht:
eine jede wirft den Saum des Kleids
übern Kopf und zeigt sich ohne falschen Geiz.
Stieren Blicks Horwendel rüberschaut,
während Fengo eitel um sich blickt,
Hamlets Augen aber sind salzig betaut –
denn der Tanz der Fränkinnen entrückt
all sein Denken, das noch Blumen pflückt
von den Wangen der von Tatarstan –
o, wie hat Raïssa ihn entzückt,
angefüllt mit Sehnen bis zum Wahn,
es ihm unbewusst für allemal angetan.
Gertrud, Astrid
„Bitte sag mir, Astrid, was du weisst:
ist er schwer verletzt oder nur leicht?
Sag es mir, auch wenn‘s das Herz zerreisst!“
Doch die Dien‘rin, schön wie Gertrud, schweigt.
Reriks Tochter ihr die Hände reicht:
„Wieviel, Astrid, standen wir schon durch!
Freundin du, nicht Dien‘rin, die nie weicht
von der Seite mir, hab Mut, zerfurch
mich mit Messern, sei mein rettender Chirurg!“
Astrid aber legt in tiefer Ruh
weiter Leinentücher aufeinand’,
schichtet sie dann in der Eichentruh,
sprengt sie ein mit Öl aus Samarkand.
Wieviel Arbeit tat schon diese Hand!
Gertrud schaut sie an und ist gerührt,
Sorg‘ um Fengos Wunde ist gebannt,
nur noch Liebe sie für Astrid spürt,
zärtlich sie die Freundin an das Windaug führt.
„O, ich weiss, du Liebe“, Gertrud spricht,
„dass das grössre Opfer du gebracht,
und ich hoff, du zürnst mir darum nicht,
seit wir damals tauschten in der Nacht.“
Astrid lächelt, hätte fast gelacht:
„Ach, das war ein Kinderscherz, Gertrud!
Jetzt jedoch mir vieles Sorgen macht:
Haben wir den Knoten damals gut,
sicher und auch fest geschürzt im Übermut?xxxxx
Reriks Leben hängt in Hälsingör,
wie Raïssa mir berichtet hat,
wie Zwirnsfaden in der Nadel Öhr,
wo er rausrutscht, ist von Wachs er glatt.
Hamlet ist zu jung, an seiner Statt
müsst Horwendel die Geschäfte führn,
Fengo aber, diesen Nimmersatt,
würde das zu neuem Neid aufrührn
und den Hass auf seinen ältern Bruder schürn.
Deshalb flehe ich auf Knien dich an:
Wende deine Lieb Horwendel zu!
Er ist vor Gesetz und Recht dein Mann,
und nur Ordnung bringet Jütland Ruh.
Dämpfe Fengos Eitelkeits-Getu,
mach ihm klar, wem heut dein Herz gehört,
lehr ihn Demut, küssen deinen Schuh –
tust dus nicht, von seinem Glanz betört,
wird die Zukunft Hamlets, deines Sohns, zerstört.“
„Gerne würd ich, was du rätst, auch tun –
und ich tus – doch tu ichs nur zum Schein!
Denn Gefühle wollen nicht geruhn,
auf Befehl zur Stelle stets zu sein.
Fengo liebe ich – und sein verletztes Bein
tut mir weh, als obs das meine wär.
Doch Horwendel – o, ich könnte schrein,
er ist nur ein dummer, taps’ger Bär,
dem ich widerwillig, was er will, gewähr.
Still – da kommt er – abgefüllt mit Met –
o, wie hass ich die betrunkne Gier,
und erst recht, wenn er auf Knien fleht
um das eine, was uns macht zum Tier!“
„Überwinde dich – und sage dir:
Abglanz Fengos findst du auch in ihm.
Deine Klugheit, List benöt’gen wir –
o empfang ihn, sei mit ihm intim –
seine Schultern mit den Fingernägeln striem!“,
sagte Astrid und verschwand wie Rauch
über eine Treppe, kaum zu sehn.
Doch Horwendel, als er seinen Bauch
durch die Tür schob, sah nur Gertruds Zehn.
Alles andere, man kanns verstehn,
hatte mit der Decke sie verhüllt,
in der Hoffnung, so ihm zu entgehn,
doch der Reigen hat ihn aufgewühlt,
und nur eines seine wilde Brunst jetzt kühlt.
Als er sich zu ihr aufs Lager legt,
trunkne Küsse ins Gesicht ihr drückt,
tut sie, als erwache sie, bewegt
weg von ihm sich, doch er ihr nachrückt.
„Bitte lass mich schlafen, nicht beglückt,
nicht auch ehrt mich deine trunkne Lust.
Sie ist schmerzhaft, eklig, ungeschickt –
du musst schlafen, ja, du musst, du musst –
nimm die Hand, ich bitte dich, von meiner Brust!“
Doch Horwendel kann nicht mehr zurück,
greift, weil Gertrud ablehnt, zur Gewalt,
sucht in seiner Blindheit Liebesglück,
indem er sich in ihr Fleisch verkrallt –
da hat sie ihm ins Gesicht geknallt
ihre kleine, aber harte Hand,
dass es weithin klatschend hat geschallt,
was er nicht sehr ehrerbietig fand –
und der Abdruck ihres Schlags hat heiss gebrannt.
„Diese Backpfeife vergelt ich dir!“
lallt er jetzt in angetrunknem Zorn,
will besteigen sie, ein wilder Stier,
der der Färse droht mit spitzem Horn.
Sie jedoch stösst ihm der Finger Dorn
in die unterlaufnen Augen, dass
ihm versiegt der Bilder bunter Born,
er brüllt auf mit heiserschrillem Bass,
und von Blut und Tränen wird das Laken nass.
Weiter aber sucht der Hände Paar
in der Luft nach Gertruds weissem Leib,
doch, wo eben alles Gertrud war,
ist jetzt nur noch Luft und Zeitvertreib.
„O, ich kriege dich, verruchtes Weib!“
brummt er drohend, sucht sie fern und nah,
mutmasst unterm Bett ihren Verbleib,
murmelt zärtlich: „Komm schon, o ich sah
dich noch eben!“ find’t sie weder hier noch da.
Gertrud, Fengo
Kopflos läuft sie durch den dunklen Flur,
wo schwarzrot nur eine Fackel blakt,
wiederholend innerlich den Schwur:
„Niemals wieder bin ich seine Magd!“
Doch was plötzlich ihr entgegenragt,
schattenwerfend in dem dunklen Raum,
ist ein Riese, der „O Gertrud!“ sagt,
und ihr Halt gibt wie ein grosser Baum.
„Fengo, Fengo – ist es auch nicht nur ein Traum?“
Fest umschlungen stehen reglos sie
für die Dauer langen Augenblicks,
schöpfend in der Ruhe Energie,
jedes atmend Duft des Fremdgenicks.
Dies war der Moment, wo des Geschicks
Faden ward geknotet von der Norn,
die mit Spinnenfingern, hurtig, fix,
hinten bald was knotet und bald vorn –
sinnvoll aber ists und scheinbar nur verworrn.
Oder bist du Anhänger des Christ?
Dann will ich auch dir gefällig sein
und erwähnen böser Schlange List,
die das Urpaar trieb in Daseins Pein.
Wie stahl sich das Böse in das Sein,
das vom guten Gott geschaffen ward:
Ist es Gottes dunkler Widerschein,
ein Kontrastprogramm, machtvoll und hart,
oder nur des Guten Mangel, nichtig, zart?
Hier in ehebrecherischer Lieb
halten sich umfangen Menschen zwei,
die der Gottheit Kraft zusammentrieb –
wer will drob erheben gross Geschrei?
Wäre das nicht eitel Heuchelei?
Hast du nie ne andre angeschaut?
Fälle gibt es mehr als zwei und drei,
dass selbst Gott ein Weib mit sich betaut,
das schon einem anderen war angetraut.
„Hat dir etwas angetan das Schwein?“
fragte Fengo ahnungsvoll Gertrud.
Und obgleich sie ängstlich sagte: „Nein!“
spannte er die Faust ums Schwert in Wut.
Flüsternd: „Sei, Horwendel, auf der Hut!“
hin zur Kemenate Fengo lief
und war lüstern auf des Bruders Blut.
Der lag schnarchend unterm Bett und schlief
seinen Riesenrausch aus, grad so fest wie tief.
Als sich Fengo wandte, war sie fort,
abgetaucht ins Kellerlabyrinth,
lang noch suchte er sie hier und dort
wie ein mutterlos verwaistes Kind.
Unterdessen nah beisammen sind
Astrid und die schöne Statthaltrin.
Gertrud weint und schluchzt: „O hätt der Wind
fortgetrieben ihn bis Thule hin!
Ihn, nur ihn hab ich im aufgewühlten Sinn!“
Raissa, Hamlet, Rawil
Als die Sonne aufstieg aus dem Belt
und sich über Jütlands Weiten hob,
sah ein Land sie, karg, doch wohlbestellt,
und ein Holztor, daraus wiehernd stob
schönster Pferde Schar im Aufgalopp
und gejagt von einer Amazon
in gar wundervoller Garderob,
doch wir kennen sie, die Schönste, schon:
es ist Raïssa, Hamlets neue Passion.
Über ihrem Kopf die Schlinge kreist,
und, geschleudert, fliegt sie um den Hals
einem Hengst, den sie zu Boden reisst,
dass er dröhnt von schwerer Wucht des Falls.
Raïssa jedoch, Tochter Walhalls,
eilt hinzu und legt die schmale Hand
dem Gestürzten an den schwarzen Hals,
dass er tiefes Zutraun zu ihr fand,
sie beschnoberte und bald schon wieder stand.
Knechte bringen rasch das Sattelzeug,
lassen wir sie zäumen nun das Ross,
das sich wehrt mit mancherlei Gekeuch,
aus den Lefzen schaum’ger Speichel floss –
lasst uns anschaun Ostens holden Spross,
wie sie prüfend um den Rappen geht,
wahrlich ein gar herrliches Geschoss,
Standbein, Spielbein, locker bei ihm steht,
und der Morgenwind die braunen Locken dreht.
Wie athletisch ausgestaltet war
und zugleich ästhetisch schlank und rund
Schultergürtel und der Schenkel Paar,
der Glutäen Kraft und Freundschaftsbund.
Machtvoll tat sich starkes Frausein kund,
unanfechtbar strahlten Augen braun,
sie zu sehn, macht Männerherzen wund,
war sie doch die schönste aller Fraun –
niemand konnte daran jemals satt sich schaun.
Ihrer Brüste Zwillingspaar, geschützt
ist es jetzt durch bronznen Brustharnisch,
der wie Gold in fernste Fernen blitzt,
gut traf Schmied das Kupfer-Zinn-Gemisch.
Und den schönen Leib, in dem einst frisch
Dänmarks Zukunft soll gedeihen zart,
schützt aus Bronze ein gezackter Fisch,
elegant und schmal, doch blank und hart –
niemals sah man Frauenbrünne so apart.
Bronzne Ketten hielten jedes Teil,
und es klirrt’ und klingelte ihr Schritt,
war Walküre bis ins blanke Beil,
das sie führte als ihr Wehrstück mit.
Jetzt bestieg zu windesgleichem Ritt
sie den edlen Rappen Swanehilt,
ihre Schönheit furchtbar für sie stritt,
denn entwaffnend war dies Frauenbild –
Lieb, nicht Hass wollt sein von ihm gestillt.
Ihr gesellte Hamlet sich gar bald,
der auf einem schweren Braunen ritt,
übers Kreuz die Saufedern geschnallt,
deren Stich schon manches Schwein erlitt,
grüsste Raïssa nach alter Sitt,
würz’gen Gerstenkuchen reichend dar;
Rawil kam – nun waren sie zu dritt,
Pferde waren und auch Waffen klar,
ihre Freundschaft zärtlich und unwandelbar.
Rawil ritt ein kleines schnelles Pferd,
wie es der Tatare gerne hat,
kaum berührts mit seinem Huf die Erd,
läuft und läuft, wird niemals ernstlich matt.
Auf dem Rücken aber trägt er statt
des gewohnten Bogens kurzes Schwert,
braucht nur greifen übers Schulterblatt,
schon ist er fürs Handgemeng bewehrt
und hat jeden Angreifer sofort versehrt.
Könnt ichs Bild: Raïssa, glanzvoll schön,
zwischen den zwei Männern, kraftvoll jung,
leichten Trabs die mächt’gen Pferde gehn,
morgenfroh, in hafermuntrem Schwung,
könnt ichs bannen ungelenker Zung,
es erretten vor der Norne Wut!
In zwölf Stunden mit Erbitterung
(und davor bewahrt nicht List, nicht Mut)
wird in Böses wenden sie alles, was gut.
Ursach aber ist die brünst’ge Sucht
nach Verwirrung, Blut und Leidenschaft,
die uns alle niedertritt mit Wucht,
erst vermehrt und dann verzehrt die Kraft,
alles Leben in Hels Höhle rafft,
wo wir dann in Ewigkeit bereun,
was wir taten in der Triebe Haft,
ewig Asche auf das Haupt uns streun
und uns zaghaft nur an Asphodelen freun.
Horwendel, Ansgar, Onyx
Vor der Halle stiessen zu den Drein
nun drei andere. Horwendel war
bleich und kopfkrank noch vom Honigwein,
ungewaschen, ungekämmt das Haar.
Doch an seiner Seite ritt Ansgar,
der nicht nur ein ehrgeiziger Christ,
sondern auch als Jäger war ein Star,
dessen Wurfspeer fast unfehlbar ist –
nie hat man ihn auf der Sauhatz je vermisst.
Onyx aber war, der Höllenspross,
dritter dieses Trios kalter Macht,
meisterlich er mit dem Bogen schoss,
treffend gut sogar in nasser Nacht.
Von der Schulter ihm ein Dämon lacht,
blau und blutig rot eintätowiert,
und der Nadelstecher mit Bedacht
hats mit rankendem Geschling geziert,
das den ganzen Mann bedeckt, vertiert.
Dagewesen war er eines Tags,
rätselhaft wie weisser Pilz im Wald,
war er Kelte oder Slawe, Sachs?
Floh er vor Gerechtigkeit? Gewalt?
Er war klein, jedoch nicht missgestalt,
Frauen massen ihn begehrnden Blicks,
seinen Rat Horwendel suchte bald,
hielt für einen Magier ihn des Glücks,
der die Fäden knüpfen könne des Geschicks.
Hündisch höflich Hamlets Hand er fasst,
sie mit hundert Demutsküssen deckt,
so küsst nur, wer tief im Herzen hasst,
Onyx aber seine Zähne bleckt:
„Sei gegrüsst mir, Dänemarks Präfekt,
wundervoll hast du gemacht Figur,
nicht den weissen Tisch mit Met befleckt,
als du gestern deinem Onkel stur
einschenktest und zutrankst mit grosser Bravour.“
Hamlet aber merkt die Falle gleich,
weist zurück, was Onyx unterstellt,
denn der Marschalk, schlau und listenreich,
der schon manchen Klugen hat geprellt,
Hamlet hat er Fengo zugesellt,
um zu treiben einen feinen Keil
zwischen Sohn und Vater, der zerschellt,
was kein Leim, kein Bolzen je macht heil,
was auch nicht zusammenzwingt der Freundschaft Seil.
Fragt der Sohn Horwendel voll Gefühl:
„Warum, Vater, geht es dir nicht gut?
Hast verlegen dich auf hartem Pfühl?
Hat vertragen nicht den Met dein Blut?“
„O, ich bin genügend ausgeruht,“
sagt Horwendel drauf. „Mich hat beschenkt
jener, der ins Auge zieht den Hut,
mit nem Traum von einem, der uns tränkt
und dann ein gigant’sches Netz herniedersenkt.
Keiner diesem furchtbarn Netz entrinnt,
Flammenmeer zehrt hohe Halle auf,
und das Rätsel ist: darob empfind
ich nicht einmal Trauer, sondern lauf,
fassend dieses Schwert beim Silberknauf,
in die Kammer meiner teuren Frau,
wo ich mich mit fremdem Manne rauf,
bis es mir auf einmal wird so mau,
ich ersauf alsbald im eignen Blute lau.“
Stimmung machte breit sich düster trist,
als Horwendel so betreten sprach.
Doch ergriff sogleich das Wort der Christ:
„Unser Wille liegt im Schlafe brach,
wehrlos preisgegeben jedem Ungemach,
das im Traum uns Satan gaukelt vor.
Lass dich, Fürst, betören nicht von Schmach,
die der Böse raunte dir ins Ohr,
raff dich ihm zum Trotz zu kühner Tat empor!
Gott, der seinen Sohn hingab für uns,
will uns stark und nicht verzagt und schwach…“
Hier jedoch mit wütendem Gegrunz
über ihren Weg lief ries’ge Bach’.
„Lasst die Träume, lasst das Weh und Ach!“
rief der Marschalk, spornte an sein Pferd,
und so preschten sie der Bache nach,
Hunde kläfften, zittern tat die Erd
unter dieser Kavalkade sehenswert.
Gertrud
Frauenbild aus dunklem Eichenholz,
in des Moores Abgrund schwarz gegerbt,
war des Freyatempels ganzer Stolz,
den die Jüten weiss mit Kalk gefärbt,
grad als hätten sie den Plan geerbt
von den Dorern, die der Süden frass;
eine Schale Äpfel unverderbt
hielt sie in der Hand, aus grünem Glas,
jener, die unsterblich machten, wer sie ass.
Hier nun kniet in reizender Torsion
Gertrud, des Horwendel Eheweib,
fleht zu Freyas Kraft im Flüsterton:
„Bitte, bitte, Göttliche, vertreib
diese Lieb aus meinem gier’gen Leib,
hilf mir zu befolgen Astrids Rat,
hilf mir zu vermeiden, dass ich bleib,
was ich bin und mehr noch auf mich lad –
sonst büsst Hamlet eines Tages meine Tat.“
Und erinnernd schweift ihr Geist zurück,
als vor Jahren sie den Ehebund
mit Horwendel schloss in scheinbarm Glück,
doch für Fengo war ihr Herz schon wund:
Als Horwendel glaubte, ihren Mund
küsse in der Brautnacht er, da war
Astrids es – und er ein trunkner Hund;
Fengo liess umzelten sich vom Haar,
ward mit seines Bruders Braut ein Liebespaar.
Rasend Glück in seinem Arm sie fand,
trunken waren sie vom Ehebruch,
häuften masslos auf Horwendel Schand,
blind sein Auge war, taub sein Geruch –
doch was hätt genützt ihm Widerspruch?
Was er wusste, wir erfahrens nicht,
denn er machte niemals den Versuch,
mitzuteilen Dinge von Gewicht,
undurchdringlich blieb sein bleiches Mondgesicht.
Als sich Gertrud nun im Flehen wand,
aus dem Dunkel sie ein Blick verschlingt,
der in ihrem Anblick alles fand,
was das Mannesblut in Wallung bringt.
Wo die Türe in den Angeln schwingt,
stand im Schatten rot behaarter Mann,
mühsam nur er sich zur Ruhe zwingt,
und sich zuraunt: „Fengo, denk daran,
dass ein einz’ger Fehltritt viel zerstören kann!“
Als sie rausgeht, hört er, wie sie ruft:
„Astrid, mach den Webstuhl arbeitsklar!“
Und er schnüffelt lange noch den Duft
der ihr nachweht aus dem goldnen Haar –
was – von Zimt – für ein Aroma rar,
von Patschouli und von Nelken scharf,
von den Freyaäpfeln vom Altar
und von Frau – o, nicht vorstellen darf
ich mirs zu genau, wie sie die Locken warf!
Sauhatz
Lurenton und Schlagen auf die Trumm,
Schrein der Treiber, heiseres Gebell,
wandelte den Wald zum Festplatz um,
Pferde schnaubten, Waffen blitzten hell,
als Raïssa sich im Sattel schnell
streckte auf in blanker Schönheit Pracht,
wortlos wies auf busch’ger Lichtung Stell,
wo ein Keiler, braunschwarz wie die Nacht,
sich in tiefem Schweineschlaf hat breit gemacht.
Er war es, im ganzen Land bekannt,
den die Jäger oftmals schon gejagt
und ihm gaben den Spitznam’ Wigand,
wie für Kämpe damals man gesagt.
Schwarz bewachsne Insel, also ragt
mächt’ger Rücken aus des Farnes Meer,
weder Mensch noch Hund zu nahn ihm wagt,
fester fasste Hamlet seinen Speer,
Lärm verstummte – tiefe Stille ringsumher.
Einer schaut’ zum andern: Wer ist brav,
wer wirds bringen, aufzuwecken ihn?
Denn zu töten tückisch ihn im Schlaf,
wagte niemand – feige wärs, nicht kühn.
Wer also macht ihn zu wecken Mien?
Stille herrscht – und auch Betretenheit,
denn es ist bekannt: Wigand zu fliehn,
ist ein Ding fast der Unmöglichkeit –
viele Männerleiber hat er wüst entzweit.
Nun trat vor die einzige Walkür
in der Brünne schimmernd wie von Gold,
federnd schreitet sie zu dieser Kür,
die ihr Ruhm und Ehre bringen sollt,
denn mit ihrer Streitaxt, kühl und bold,
streichelt sie des Keilers Rüsselspitz,
preisgebend den kämpfrischen Unhold
für Jahrzehnte heitrem Männerwitz –
doch dann fügte sie ihm zu blutigen Ritz.
Da erhob sich furchtbar der Koloss,
schnob und grunzte, Äuglein klein und rot,
senkt den Kopf wie das Rhinozeros,
wenns den Gegner mit dem Horn bedroht,
höhnisch drückt er ab ne Ladung Kot
und prescht auf Raïssas Anmut zu,
sie weicht aus und stolpert ohne Not,
weil in einer Wurzel sich ihr Schuh
tückisch hat verhakt und sie gefällt im Nu.
Den Moment hat Wigand ausgespäht,
sieht sein Opfer wehrlos ausgestreckt,
preisgegeben und wie hingemäht –
höhnisch er die blanken Hauer bleckt
und im Voraus den Triumph schon schmeckt:
hat in ihren Schenkel, wie ins Rind
Beil versenkt der Metzger, sie gesteckt,
allsogleich ihr Blut aufspritzt und rinnt –
bass erstaunt schaut sie, ein überraschtes Kind.
Hamlet steht, wie an die Erd gebannt,
kann nicht wenden Augen von der Wund,
die der Keiler ihr ins Bein gerannt,
das noch eben war heil und gesund.
Doch das Untier, brünstig wütend und
vom Erfolg gereizt zur Raserei,
senkt erneut den scharfbewehrten Mund,
Raïssa zu reissen ganz entzwei,
dass sie nie im Leben Königsmutter sei.
Da im Augenwinkel blitzt ein Blatt,
blank wie Silber und doch hart wie Stahl,
fährt ihm in das Ohr so kühl wie glatt,
trennt das Trommelfell und dringt zentral
in das Hirn ihm wie ein Wetterstrahl,
Hamlets Waffe war es, die ihn traf
und ihm zufügt ungeheure Qual
aber nicht versenkt in Todesschlaf –
instinktiv will er des Täters Straf,
wendet sich von Raïssas Ohnmacht ab,
und versucht mit Riesenleibes Wucht
Hamlet reif zu machen für das Grab,
der sich ohne falsche Scham zur Flucht
wendet vor dem Eber, der ihn sucht,
einmal ihn in irrem Schmerz verfehlt,
dann jedoch mit seiner Kraft verrucht
wirft zu Boden und ihn hätt entseelt,
hätte nicht Horwendel mutig ihn durchkehlt.
In das tote Tier stösst Onyx noch
mehrmals seine Feder, reisst es auf,
und entnimmt dem dampfig schwarzen Loch
das noch heisse Herz mit Giergeschnauf,
setzt es an den Mund, dass Blut er sauf,
welches Wigands Kraft ihm übertrag,
dass er meistre jedes Kampfgerauf,
jeder Gegner vor ihm werde zag,
nie beim Lieben seine Manneskraft versag.
Hamlet aber dankt Horwendels Kraft,
der ihn küsst in väterlicher Lust:
„Thor gab Segen meinem schwachen Schaft,
als er ihn gelenkt in Wigands Brust.
O, jetzt weiss ichs, habs oft nicht gewusst,
dass du bist mein lieber, einz’ger Sohn,
den ich zeugte, als ich noch robust
stand in Jugendblüte; Fengos Hohn
fällt auf ihn zurück als eitler Lüge Lohn.“
„Lieber Vater! Ja zum zweiten Mal
gabst du mir das Leben heute hier,
und ich wählte dich, hätt ich die Wahl
unter mehrern Vätern, denn in dir
finde ich verkörpert, was vom Tier
Menschen unterscheidet: Mild und klug,
auch wahrhaftig, ehrlich scheinst du mir,
Fengo aber ist voll Lug und Trug,
und ich weiss, dass ich ihn heftig hass mit Fug.“
Dann jedoch, erschreckend, wandten sie
sich Raïssa zu, die in Rawil
einen Feldscher schon gefunden, wie
ihrer man im Reich nicht findet viel:
Grad, als wär Verbinden nur ein Spiel,
machte er aus Werg ihr nen Verband,
legt hinein viel Wegrich stark und kühl,
dass ins Leben schnell zurück sie fand
und zu aller Freude bald schon wieder stand.
Beifall rauschte da durchs Jägerheer,
denn Raïssa, trotz der Blässe, war
anzusehn so schön wie düstres Meer,
wild umwölkt von dunklem Lockenhaar.
Keiner hat vergessen aus der Schar,
wie mit Witz sie Wigand hat geweckt,
voll Verlangen blickt manch Augenpaar
auf die Holde, die sich nun erkeckt,
Swanhilt zu besteigen, der sich lustvoll streckt.
„Gottes Vorsicht hat euch zwei geschützt,“
startet Ansgar frömmelndes Sermon,
„ohne ihn dem Menschen Kraft nichts nützt,
und darum gab er uns seinen Sohn…“
Da jedoch erhebt sich Lurenton,
und die Hatz nimmt ihren Fortgang froh,
eine schöne Beute hat man schon,
und mit laut gerufnem Horrido
suchten weiter sie nach Jagdlust wild und roh.
Gertrud, Astrid, Fengo
In der Kemenate Gertrud sass,
Schifflein schiessend durch das Webgeflecht,
suchend innerlich nach Halt und Mass,
leidend an der Not, mit der ‘s Geschlecht
sich an uns für Unterdrückung rächt:
Während sie mit blauem, rotem Garn
Bilder wob vom Götter-Urgefecht,
scherte sich ihr Schoss drum einen Schmarrn –
und vor Aufregung entrann ihr heisser Harn.
„Fengo, Fengo, Fengo!“ dachte sie,
schon durchglüht von seines Wollens Macht,
„niemals kann ich von dir lassen, nie,
welches Feuer hast du angefacht!
Gib mir nur noch eine einz’ge Nacht,
Freya, die uns Frauen nie betrügt!
Einmal hören noch, wie jäh er lacht,
wenn sein Leib an meinen fest sich schmiegt
und beim wilden Liebesritt er unten liegt!“
„Herrin, kommt, o kommt, o seid so gut!
Riss er den Verband sich eben ab?
Sprudelt aus der Wunde helles Blut?
Laut schreit er, es fresse ihn das Grab!“
Gertrud sprang empor, und klipp und klapp!
warf im Schwunge sie den Webstuhl um,
Astrid ihr die Hand, die weiche, gab,
führte sie, die ihr, entsetzt und stumm,
eilig folgte, Treppen, Gäng und Wege krumm.
Angekommen in der Kammer hoch,
wo sich Fengo ächzend wälzt’ im Bett,
Astrid vorsichtig zurück sich zog
aus dem Raum, der scheinbar Lazarett.
„Sei nur ruhig, Liebster, ich errett
dich vor allem!“ Und Frau Gertrud zieht
ihm die Daunendecke weg – o hätt
sie es unterlassen! Denn sie sieht,
was sie so ersehnte, gleichwohl besser mied.
Lassen wir sie spieln Zweirückentier,
denn Empörung wandelt sich in Lust,
Astrid aber, wachend vor der Tür,
tief im Innern spürt’ sie das Du musst.
Hat von Fengos List sie wohl gewusst?
Auch kein Götterauge schaut so tief
ins Geheimnis einer Frauenbrust –
gönnen wir ihr Unschuld, als sie lief
und Frau Gertrud an des Schwagers Lager rief.
Eine Strecke von zwölf Schweinen bringt
Kavalkade protzend vor die Hall,
Schar der Treiber dumpfs Triumphlied singt,
schmettert drein der Luren scharfer Schall.
Wigand hat erholt sich von dem Fall,
kommt geritten an der Spitz daher,
seine Decke, sie ward wieder prall –
wer hält in der Keilerklau den Speer?
Der ihn tötete, Horwendel, hat die Ehr.
Ruft nach Gertrud, doch sie zeigt sich nicht;
wünscht, dass sie bewundernd ihn betracht,
ist auf schmeichelndes, auf Lob erpicht,
wie sies oft ihm schon hat dargebracht,
springt vom Ross in Wigands Decke Pracht
und betritt die Halle voller Stolz.
Hamlet aber hob Raïssa sacht
aus dem Sattel nicht wie ein Stück Holz,
sondern so behutsam, dass sie beinah schmolz,
trug sie in die Kammer, wildes Weib
legt’ ihr auf noch bessere Latwerg,
dass sich schnell erhol geschundner Leib
von des schwarzen Wigand Angriffswerk;
denn wie gerne sie es auch verberg,
Blutverlust hat heftig sie geschwächt,
und damit an Labsal sie sich stärk,
Hamlet gern ihr Met und Dörrobst brächt,
doch sie liegt erloschen da, und ihr ist schlecht.
Vor dem Zimmer steht Horwendel wild,
angetan mit Wigands strupp’gem Kleid,
wo Frau Gertrud eben noch am Bild
wob vom sagenhaften Götterstreit,
Webstuhl liegt am Boden; angstvoll schreit
da Horwendel: Was geschah Gertrud?
Tat ihr jemand Böses an, ein Leid?
Innerlich ergreift ihn vage Wut,
er sucht Fengos Kammer auf ohn Wankelmut.
Schon von ferne hört er Gertrud schrein,
Schreie sind es, doch entgrenzter Lust,
furchtsam schaut zur Tür herein das Schwein,
was es sieht, das hat es längst gewusst,
dennoch spürt er jetzt erst den Verlust,
und mit hochgeschwungner Waffe stürzt
sich der Keiler auf des Bruders Brust,
Dunkles Blut die Liebe jäh verkürzt,
und was nackt war, wird voll Scham beschürzt.
Fengo ist verwundet, stöhnt und röhrt,
ist voll Zorn, weil er beim Liebeswerk
wie wir alle ungern wird gestört,
auf den Störer fällt sein Augenmerk:
ob er sich im Borstenkleid verberg,
Fengo hat am Plattfuss ihn erkannt,
zwar war ihm entschwunden alle Stärk.
Als er aber wittert, dass Jütland
erstmals ist zum Greifen nah, o, da ermannt
sich der schnelle und gereizte Luchs,
stürzt sich auf den frechen Eindringling,
Gertrud sah, wie er zum Riesen wuchs
und als erstes ihm entwand die Kling.
Heftig mit ihr rumzufuchteln fing
er dann an, doch sie entglitt der Hand,
Gertrud aber formt’ den Arm zur Schling,
die alsbald Horwendels Fessel fand,
dass er brüllend stürzte und nie wieder stand.
Hamlet, Raissa
Hamlet aber fasst’ Raïssas Hand,
durch ihr Braun schien blau das Adernetz,
liebreich er die zarten Worte fand:
„Was ich sag, Raïssa, es verletz
dich nicht mehr noch als bisher, zerfetz
nicht dein kostbars Leben, sondern heil
deine Wunden und dein Herz es letz:
Tief traf mich der Freya spitzer Pfeil,
dich zu lieben ist für immerdar mein Teil.
Eines Tages werd ich König sein,
ich gesteh: ich habe Angst davor.
Neid umlauert dieses Amt wie kein
anderes, ich steige hoch empor
über alle wie ein Meteor,
ich erschaure, wenn ich hin nur schau.
Was ich brauch, damit, was ich verlor,
sie ersetz, ist eine starke Frau,
der ich immer und in allem tief vertrau!“
Raïssa schlug Augen, braun und rund,
auf und schaut’ in Hamlets meerestief,
grad als ob auf ihres Wesens Grund
eine Nixe oder Elbe schlief.
O, sie ahnte, dass Freya sie rief,
doch sie schwieg, und so fuhr Hamlet fort:
„Ich bin grad gewachsen und nicht schief
und durchschwamm schon manchen rauhen Fjord,
bin verträglich, nicht sehr dumm, mein Wort
gilt bei Freunden was…“ „O bitte schweig!“
ruft Raïssa da, „mein edler Freund!
Du bist doch an Vorzügen so reich,
dass, wenn du dich anpreist, in mir weint
meine Seele, die mit dir vereint
lang schon ist, seit heute noch viel mehr,
da du meinem schwarzbehaarten Feind
dich entgegenwarfst mit deinem Ger:
Raïssa, die Halbtatarin, liebt dich sehr!“
Fest erwidert’ sie den Händedruck,
doch sie führten das Gespräch nicht fort,
es durchfuhr die Liebenden ein Ruck,
aus der Halle drang Geschrei, das Wort,
das sie hörten und nicht glaubten: Mord!
liess verstummen sie, und Hamlet stand
langsam auf, fühlte sich wie verdorrt,
seiner nun entglitt Raïssas Hand,
bleich war Dänmarks Prinz wie die gekälkte Wand.
Schon erdröhnt des Rufers laute Stimm:
Vor die Halle komme jedermann,
zu vermelden sei Ereignis schlimm,
jeder Jüte höre sich das an!
Raïssa meint noch, dass Hamlet sann,
nachhing zaghaft-scheuem Ehetraum:
„Komm du Lieber! alles ändern kann
ein Schnitt derer unterm Eschenbaum!“
wollt ihn küssen, doch vor seinem Mund stand Schaum.
Eine Wolke zog ihm durch den Kopf,
schwarz und zierlich, klein nur, dennoch wüst,
und er fühlte sich als armer Tropf,
den noch nicht einmal ein Bettler grüsst.
Welche Untat ists, für die er büsst?
Thor, er heiligt mit des Körpers Krampf
und mit Leiden Leben er versüsst,
dass herauswölk bittern Schweisses Dampf,
wenn sein Liebling liegt in Hirngewitters Kampf.
Noch bevor sie sind hinausgewallt,
fiel Prinz Hamlet überraschend hin,
Zähne knirschten, Fäuste warn geballt,
und es zitterte sein festes Kinn.
Was verdunkelt ihm den klaren Sinn?
Raïssa erbarmend bei ihm kniet,
ahnend, dass sie miterlebt Beginn
von was Schrecklichem, das bald geschieht –
und er ist der einzige, der’s kommen sieht.
Canto 3

Wo sich stolz und palisadensteil
Hälsingör am salz’gen Sund erhebt,
in den Himmel starrt das scharfe Beil,
wo die Sturmmöw ihre Schlingen schwebt:
In der hochgebauten Halle lebt,
uralt und von Sorg und Gram gebeugt,
Rerik, der am dän’schen Throne klebt –
hätte er doch kräft’gen Sohn gezeugt!
Längst schon hätte der den Alten fortgescheucht!
Nur der morgendliche Becher Milch
hält am Leben seine schwache Kraft,
Tag und Nacht verschläft er wie ein Bilch,
überlässts der Hofbeamtenschaft
Dänmark zu regieren stümperhaft,
in den Gauen sich der Aufruhr regt,
hier der Bauer, dort der Kriegsmann blafft,
keiner Wert auf Reriks Herrschaft legt,
keiner aber ihn zum Abdanken bewegt.
Immer hat er Angst vorm Mörderdolch
oder dass ihn eines Tages trifft
tück’scher Pfeil, oder ein ekler Molch
in das Essen werd gerührt als Gift,
weshalb auch bescheidne Runenschrift,
die Rawil und Raïssa reichten ein,
lange schon auf seinem Tisch versifft:
denn auch sie könnten ja Mörder sein –
doch dann hört aus Jütland er verworrnes Schrein.
Damit er erführ, was dort geschah,
liess die beiden er vor seinen Thron,
wackelnd mit dem Kopf er sie ansah
und erbat für seine Schmerzen Mohn;
denn ihm ward als seiner Kämpfe Lohn,
dass ein ziehend Leid Gelenk ihm plagt.
„Nun, verachtet ihr mich Alten schon?“
er mit brüch’ger Greisenstimme fragt –
doch Rawil kniet hin, was ihm gar sehr behagt.
„Jeder weiss, wie du einst Norweg zwangst,
die Ruine noch füllt Heldengeist,
wenn du heute auch vorm Tode bangst,
niemand deshalb dich nen Feigling heisst,
denn alleine du von allen weisst,
welches Graun Dänmark erwartet, wenn
eines schlimmen Tags ins Gras du beisst,
wies die Nornen dir verhängen, denn
der dir folgen soll, Prinz Hamlet, o ich kenn
keinen Unglücksel’gern auf der Welt,
da seit seines Vaters bösem Tod
Wahnsinn seinen Geist umfangen hält
als des Donnergottes heil’ger Bot.“
„Wer beschwor herauf die neue Not?
Trifft es zu, dass Fengo ihn erschlug?
O, du nickst! Wie sind wir nur verroht!
Dänmark Brudermordhöhl! O, mit Fug
reden so die frommen Christen überklug.“
Raïssa sich meldet nun zu Wort:
„O begreife, edler Danonaut,
es war kein gewollter Brudermord,
nimmermehr hätt Fengo sich getraut,
jenen Wütrich, der auf ihn einhaut,
als Gertrud erneuert den Verband,
zu erschlagen, hätt er nicht die Haut
toten Schweins getragen als Gewand –
Fengo hat maskierten Bruder nicht erkannt!“
„Ob ers wusste oder nicht, es bleibt
Brudermord, wie man es immer dreht.
Und, kaum hat Horwendel er entleibt,
noch ist nicht verklungen Traurgebet,
ihn zu heiraten sich untersteht
Gertrud! Meine Tochter reicht die Hand,
ehe noch der Blutgeruch verweht,
ihm, der ihren Mann zu Hel entsandt,
wenn er nicht in Walhalls Glanz Aufnahme fand.“
„O, das jüt’sche Land bedarf des Herrn,“
Rawil eifrig drauf das Wort ergriff,
„unterging Horwendels heller Stern,
aufging Fengos, der nicht nur ein Schiff,
auch ein Land regiert mit hartem Griff.
Nicht aus Leichtsinn, nur aus Ordnungslieb
Gertrud längre Trauer sich verkniff,
folgend der Vernunft, nicht Liebestrieb,
weshalb ich dich bitt für sie, Rerik: vergib!“
„Ich kenn meine Tochter gut genug,
um zu wissen, was sie angestellt.
Es ist viel, wenn ich sie nicht verfluch –
doch nun sagt, um alles in der Welt,
was hat Hamlets klaren Geist gefällt?
Und ists wahr – oder ists nur Geschwätz?“
„Ach, mein König! Er hat sich gesellt
zu der Mägde geiferndem Gehetz,
flicht, in Asche sitzend, an nem Fischernetz!
Oder er biegt Eisenstifte zu
Haken krumm und bohrt in Pflöcke sie,
und wenn man ihn fragt, was er da tu,
sagt er, das sei’n scharfe Pfeile, die
er benötige – ists Ironie? –
um zu rächen seines Vaters Tod…
Ungekämmt und schmutzig wie ein Vieh,
macht er seinen Freunden schwere Not,
wie er so verkommt und lebt in Schmutz und Kot.“
„Odin schütze unser Dänemark,
wenn so lebt, der es beherrschen soll.
Glaubt ihr, dass er jemals wieder stark
und gesund wird oder bleibt er toll?“
„Wer weiss das?“ erwidert sorgenvoll
Raïssa und schaut den König an –
ihren Augen Zauberkraft entquoll –
„gross ist unsre Angst, denn täglich kann
sich, zu töten ihn, finden ein Ehrenmann.“
„Wer hätt, ihn zu töten, ein Motiv?“
„Fengo trat dem Thron jetzt nah. Alsbald
Sohn einer Geliebten er berief,
einen Bankert, strohdumm, heisst Harald,
aufwuchs er in eines Pächter G’walt.
Ihn säh Fengo gern an Hamlets Platz
und als König Dänemarks bestallt…“
Abbrach Rawil seine Red im Satz,
umgebunden wurde Rerik jetzt ein Latz.
„Diese Angst vor Mördern kenn ich wohl,
mächt’gen Männern ist sie täglich Brot,
sie umkrächzt mit rauhem Schrei der Dohl
jeden Tag mir, bis ich endlich tot.
Doch gebt Acht, wie Gift, das mich bedroht,
ich zu meiden weiss mit kluger List.
Dass mein Enkel schon kennt diese Not,
sehr bedrückend für mich Alten ist,
der ich mühsam meine letzten Tage frist‘.“
Eine Bäurin trat in hohen Saal,
blond, mit blauen Augen, rosig-blank,
die dem König anbot mildes Mahl,
das er gern aus ihren Brüsten trank,
deren Fülle sie ihm darbot frank.
Erst sog eine er, dann andre leer,
wurde schläfrig, in den Sitz er sank,
schaum’gen Mundes lächelnd, satt und schwer,
fuhr hinaus er auf der Träume Nebelmeer.
Raïssa, sie kennt den sanften Ton,
der auch Schlummernde im Schlaf erreicht:
„Nimmermehr gib auf Horwendels Sohn,
ihm allein wird alles Schwere leicht.
Diese Wahnsinnsmaske ist geeicht,
um zu schützen ihn vor Mörderstahl,
Kreide, Krankheit nicht, sein Antlitz bleicht,
aus Erniedrigung wird triumphal
einst er auferstehn, als mächt’ger Königswal!“
So hat sie dem träumenden Rerik
Zuversicht geträufelt in das Ohr,
hat die Hand ins runzlige Genick
ihm gelegt, dass es ihm kam so vor,
als ob die ihn hielt, die er verlor,
als er war ein unmündiges Kind –
streben wir nicht alle den Komfort
wieder an, des wir verlustig sind,
seit wir irrn durch das Erwachsnenlabyrinth?
Raïssa erwirkt‘ mit zartem Schneid
für des Königs Leben eine Frist,
Hamlet gebend die Gelegenheit,
auszuführen, was ihm seine List
auftrug, zu entscheiden Bruderzwist.
Und auch ich lehne mein krankes Haupt
gern an deine Schulter, die du bist
mir wie eine Schwester, holdumlaubt,
die mich zwar nicht liebt, doch an mich glaubt.
Canto 4
Hier von meinem Fels aus Anhydrit,
wo mein Stammsitz weithin sichtbar ragt,
fern hinaus man bis nach Jütland sieht,
wo einst Hamlet Schwerstes hat gewagt.
Unten süsse Well am Ufer nagt,
nicht die salzige des Meeressaums.
In den Wäldern scheu der Slawe jagt –
auf dem See träumt Fischer Traum des Traums,
Frau wäscht weissen Leib im Schutz des Weidenbaums.
Ich sag Saxo, Absaloms Kanzler, Dank,
der Bericht uns gab, wer Hamlet ist,
der ihn schilderte in Schmutz, Gestank,
und begabt zu ungeheurer List.
Saxo selber ist getaufter Christ,
doch entzückt ihn Heidenrachegeist,
den an Christen er manchmal vermisst,
die ihr Glaube hin aufs Jenseits weist
und ihnen Gerechtigkeit durch Gott verheisst.
Dänemarks Statthalter bin auch ich,
wies Horwendel, wie es Fengo war –
unter südlicherem Himmelsstrich,
nah ist schon der Elbe Strömepaar.
Ich verwalt als Bibliothekar
wie Hieronymus einst im Gehäus
meiner Bücher weise, stille Schar.
Während ferne revoltiert der Geus,
schmück ich meine Stadt mit Glanz schönen Gebäus.
Einen Obelisken richtet’ ich
Fredrik, meinem Freund und König, auf,
der in tausend Jahren hoffentlich
noch wird hemmen jedes Fremden Lauf.
Denn nach Zank und Streit und viel Gerauf
hat erlöst uns aus des Krieges Nacht
die pax danica, die uns, glückauf,
Ruhe, Wohlstand, Musse hat gebracht,
um zu schlagen nun der Musen Anmutsschlacht!
Gleich dabei steht Architektentat:
auf vier Säulen eine Pyramid,
die der Wandrer, der von Süden naht,
aus der Ferne schon ihn grüssen sieht.
Ja, dem Krieg ist sie geweiht, dem Schmied
auch des Friedens, wenn er ihn denn bringt.
Hier verfasste ich von meinem Lied
manche Strophe, die von Hamlet singt –
wieder es sich jetzt in graue Vorzeit schwingt.
Auf der Bettkant sitzet Frau Gertrud,
weit hinaus durchs Windaug schweift ihr Blick,
nirgends bleibt er und verweilt und ruht,
Hamlet sucht sie, ob er schon zurück.
Denn am kühlen Morgen brachen quick
er und viele auf zum Ritt am Strand,
und den Prinzen traf das Missgeschick,
dass er falsch herum sich sitzend fand
auf verdutztem Pferd zu seiner grossen Schand.
O, wie zog sich da ihr Herz zusamm’,
sehnd den Sohn derart zum Narrn gemacht,
mondelang die Haare ohne Kamm,
künft’ger König schmutzig und veracht’t!
Und ihr Herz hat, nicht ihr Hirn, gedacht:
Riss denn zwischen ihm und mir das Band?
Er jedoch hat blöde mitgelacht,
nahm den Schweif des Pferdes in die Hand,
trabte mit den anderen hinaus zum Sand.
„Was bewegt dich?“ fragte Fengo nun,
der am hintren Rand der Bettstatt sass.
„Willst du aufstehn? Oder weiter ruhn?
Oder hättst am Liebeswerk du Spass?“
„Ach, vorbei sind Zeiten der Ekstas,
als erlaubte ist die Lust entflohn,
Ehe sei der Liebe Grab, ich las.
O wie wünsch ich mir für Dänmarks Kron
nichts doch mehr als nen gesunden Sohn!“
„Dankbar bin ich dir für diesen Wunsch,
allzu sehr nur teil ich ihn mit dir!
Komm, wir lassen kommen Apfelpunsch,
und dann huldigen Frau Freya wir!“
„Nicht auf weitern Sohn hab ich Begier,
missverstanden hast du, Fengo, mich:
Hamlet wünsch ich mir gesund und schier,
um ihn weine ich oft bitterlich
und forsch nach, welch Unheil ihn beschlich.“
Missvergnügt stützt Fengo bleiche Stirn
in die eine Hand und kratzt die Schwart
mit der anderen: „In Hamlets Hirn
hat sich Heimtücke mit List gepaart,
er glaubt sein Geheimnis gut verwahrt,
aber heut noch, heut ichs ihm entreiss,
denn er spielt uns vor des Wahnsinns Art
gar zu kundig und auf eine Weis,
für die er verdient nen Komödiantenpreis.“
„Hast auf ihn du einen Anschlag vor?“
fragt Frau Gertrud, stellt sich vor ihn hin.
„Tust du ihm geringstes Leid, beim Thor,
dann erfährst du, wer hier Meisterin.
Quälst du ihn, ich sage dir, ich bin
fähig, zu zerreissen dieser Eh
dürftigen Vertrag, der dir Gewinn,
mir jedoch nur Schande bringt und Weh.
Warum also schickst du Hamlet an die See?“
„Bleib ganz ruhig, teuerste der Fraun,“
sagt drauf Fengo, scheinbar redlich, schlicht,
will ihr zwingend in die Augen schaun,
ihre Brüste hemmen seine Sicht,
prangend über ihm mit Schwergewicht,
Weibes ganze Schwäch und Majestät,
Spitzen dolchgleich hart und aufgericht’t:
„Niemals ich ihm je ein Leides tät“ –
er, sich arglos gebend, scheinväterlich bläht.
„Onyx hat sich anheischig gemacht,
Hamlet zu verführen zur Vernunft,
hat ihm ein paar Fragen zugedacht
und will prüfen seine Mannesbrunft.
Denn der Narren buntscheckige Zunft
weiss von Liebe nichts, wie man erzählt:
Närrin, sie kennt keine Niederkunft,
und der Narr weiss nicht, wie man beschält.
Sag: Womit wohl Fengo deinen Hamlet quält!“
„Waren wir nicht närrisch, als wir uns
seinerzeit so voller Gier vereint?
Ists nicht närrisch, wenn unter Gegrunz
mit der Sau der Eber hechelnd schweint?
Ach, wie habe oftmals ich geweint,
weil mein Kopf gehorchte meiner Brunst!
Deine Prüfung etwas andres meint,
denn wenn wer von nichts geringsten Dunst
hat, auf eins versteht er sich, auf Liebeskunst!“
Da umfängt sie Fengo festen Arms,
zieht herab auf strohgefüllten Sack
sie, die gern vergessen will des Harms
in des Liebens heissem Huckepack.
Zwar ist von der Liebe ab der Lack,
doch Erinnrung ist kein schlechter Koch,
am Gewohnten findet man Geschmack,
gern man wieder zueinander kroch,
so erleichternd der Vernunfteh herbes Joch.
„Musste es, o musste es nicht sein?“
rief er laut, als er sie hart umfing,
Arm mit Arm sich kreuzte, Bein mit Bein,
alles ward unlösbares Geschling;
sie jedoch, mit Lautstärk nicht gering,
seufzte, dass mans in der Hall vernahm:
„Ja, es musste sein! O zwing mich, zwing!“,
warf entgegen sich ihm ohne Scham,
heisser Wölfin gleich, nicht wohlerzogner Dam‘.
*
Ganz gebrochen, Antlitz voll Unglück:
schwarzer Spiegel aus dem Reich der Mitt
warf das Bildnis jener Frau zurück,
die vor Monden mit zur Sauhatz ritt,
dann bei Rerik für Prinz Hamlet stritt:
Raïssa, gehorsam dem Gesetz,
das ihr Onyx gab als Fengos Bitt,
zieht ein Kleid an, das fast nur ein Netz:
afrikan’sches Leinen Männerauge letz.
Lange schaut sie sich verzweifelt an:
Hamlet zu verführn sie übernahm.
Wär er irgendein gleichgült’ger Mann –
doch den einz’gen, den sie liebt? Voll Scham
mustert sie (gibt sich der Hure Nam)
ihren allzu gut erkennbarn Leib,
und denkt an das Schicksal voller Gram,
das sie Hamlet schafft: Wenn ihn ein Weib
wenig nur erregt, endet sein Seinsverbleib.
Gross ist Fengos Angst, dass Hamlet zwar
Kron zu tragen selbst unfähig sei,
zeugt er aber, dann besteht Gefahr,
dass an seine Stell tritt Hamlet zwei,
auch ne Tochter kann nicht einerlei
Fengos Harald sein, den Flechte fleckt,
unwahrscheinlich, dass ein Weib er frei,
da er heut schon jedes Mädchen schreckt,
wenn ers mit dem einen blauen Zahn anbleckt.
Doch Rawil, ihr treuer Schatten, hat
Raïssa vergessen nicht und lehrt
sie den Hurenblick und die Bewegung glatt,
die bewirkt, dass jeder sie begehrt.
„Ein Paar Augen und ein scharfes Schwert
sind auf euch gerichtet, wenn ihr an
des Horwendel Grab ihn scheinbar ehrt,
weck nur ruchlos hier in ihm den Mann,
nicht zum Grab soll werden euch durchrauschter Tann!“
So getröst’t, bedeckt mit schwarzem Tuch,
Raïssa auf schweren Weg sich macht,
fragend sich, ob Brudermordes Fluch
jetzt auch ihren Lebensplan verlacht:
Welches Schicksal haben zugedacht
zarter Frau der Spinnerinnen Händ?
Hat ihr schön behelmter Kopf die Macht,
dass er Unheil ab-, in Heil es wend?
Inbrünstigs Gebet zum Urgrund ich ihr send.
*
Reiter ziehn entlang den weiten Strand,
der nach Westen blickt zum Strich der Kimm,
grau das Meer, der Himmel, weiss der Sand,
blau der Gallertblume still Geschwimm.
Ruder eines Schiffs, das Meeresgrimm,
schrecklich wütend, an den Strand hier warf,
ragt’ hervor. Sprach Onyx: „Messer schlimm
haben wir gefunden.“ Hamlet: „Darf
ich vom Pferd steigen, zu prüfen, ob es scharf?“
Tuts und lässt den Finger übers Holz
gleiten sacht, zieht ihn entsetzt zurück,
schaut aufs Meer hinaus, sagt voller Stolz:
„Was fürn Riesenschinken sieht mein Blick,
den zu schneiden in zwei grosse Stück
ist dies Messer beinah noch zu klein!“
Er rutscht aus und fällt in nassen Schlick,
die Begleiter lachen seiner Pein,
doch Rawil trifft reitend bei der Gruppe ein,
sieht den Freund, sitzt ab, ruft: „Meiner Seel!“
hilft ihm auf, putzt ihn und stützt sein Stehn.
Onyx aber bittet ihn, das Mehl,
womit er den Sand meint, anzusehn.
Hamlet schaut aufs Meer: „Seht ihr sie drehn
ihre Flügel, jene Mühle, die
es gemahlen mit der Stürme Wehn?“
„Kluge Antwort!“ sagte Onyx. „Sie
war sehr klug!“ krähte der Prinz. „Kikeriki!“
„Lasst uns rasten hier!“ Onyx befahl,
„Hamlet will an toten Vaters Grab
(dort im Wald befindet sich sein Mal)
opfern einen heil’gen Runenstab,
den der Priester ihm beschriftet gab.“
Alle sitzen ab und werfen sich
auf das Würfelspiel mit Klipp und Klapp,
Hamlet aber schlurfend waldwärts schlich –
wie sehr er im Gang von fern Horwendel glich!
Auf den Schultern trug er reisig-flöck
schwarzen Netzes dickgerolltes Plaid,
kreuzweis überm Rücken kleine Pflöck,
säuberlich an Riemen aufgereiht,
lumpig und befleckt die Hose, seit
seines Vaters Tod gewechselt nicht,
als Tribut an die Vergangenheit
schütterblonden Bart im Angesicht,
und sein Haar stand zottig, talgig, dicht.
Als er nun betrat durchrauschten Hain,
ward ihm plötzlich recht absonderlich,
grad als wäre er dort nicht allein,
hört’ es knacken, als ob jemand schlich,
und am Runenstein des, der verblich,
sah er eines Fusses frische Spur,
steckt’ in Erde Stab mit festem Stich,
doch dann spürte Schatten er obskur,
blickte auf und sah – die allerschönste Hur.
Gar zu provozierend sie da stand,
die Gestalt so lockend und so süss,
für nen Augenblick ers möglich fand,
ihr zu tun, dass sie ihn nimmer grüss.
Da jedoch sah er die braunen Füss
und begriff, dass es Raïssa war,
bückte sich, pflückt’ Blätter vom Gemüs,
dessen grade er wurde gewahr:
Lattich, Löwenzahn und Ampfer auch ein paar.
„Schau mich an, o Hamlet! Weisst du wohl,
nur für dich hab ich gemacht mich schön!
Bitte denke nicht, ich sei frivol:
Möchte nichts in deinen Augen sehn
als Gefallens allerreinste Tön,
denn besitzen sollst du ja dereinst,
was du zitternd hier siehst vor dir stehn,
und, der du um deinen Vater weinst,
eines Tages lustvoll dich mit mir vereinst.“
Hebt die Schulter, schaut darüber ihn
mit nem Blick so lockend an und kalt,
dass sie widersprüchlich ihm erschien,
deplaziert in diesem heil’gen Wald.
Doch der Brüste wonn’ge Wohlgestalt
lächelt ihn durchs zarte Leinen an,
und der Hüften zärtliche Gewalt
weckt in ihm erneut begehrnden Mann –
äusserlich mans leider schon erkennen kann.
In den Büschen Eisen Eisen wetzt,
scharfes Schwert der Scheide leis entglitt,
hätte Hamlet auf das Mädchen jetzt
sich in Liebeswut gestürzt, ein Schnitt
hätt ihms Haupt vom Rumpf getrennt, doch psit!
eine Bremse beinah ihn versehrt,
und nun weiss er: hier ist man zu dritt –
mit nem Halm die Bremse ist bewehrt,
ihr verschaffend einen langen gelben Stert.
Er erinnert sich an Rawils Trick,
die Bedeutung, die er für ihn hat,
Geistesgegenwart genug zum Glück
hat er auch, beisst in ein Ampferblatt,
flüstert leis, dass keiner hört den Rat:
„In zwei Stunden an der Eiche Thors!“
geht zu seinen Leuten, die, nicht satt
ihrer Würfel, ihn zum Rand des Moors
nicht sehn reiten, tauchen ab ins Land des Rohrs.
Hoch darüber Eiche sich erhebt,
die der Donnrer mehrfach schon gekeilt,
Raïssa Hamlet entgegenbebt,
dorthin er auf schwankem Boden eilt.
Werden sie sich treffen? Oder peilt
andres Schicksal längst die Norne an,
lässt ihn jäh versinken, wo, umseilt,
schon so manchem unseligen Mann
letzter Speichel in braungelbe Moorflut rann?
*
Wunder, wenn sich trächt’ger Stute Schoss
dehnt und Fohlen nass und matt entlässt:
doch Entsetzen, wenn nen Elendskloss
mit zwei Köpfen sie hervorgepresst.
Auch für Männer, trink- und sattelfest,
wie die beiden, die’s erwürgen schnell,
ists kein Spass; sie sind von Schweiss durchnässt,
ziehn der Missgeburt noch ab das Fell,
Per sagt dann zu Holger, seinem Spiessgesell:
Wer der Schuldige, sei klar enthüllt –
schon zum dritten Mal Stute verfohl,
die gedeckt vom Hengste Swanehilt.
Töten sie es nicht, es wiederhol
sich beim nächsten Weidegang. Versohl
er sie auch, es hau nur kurz ihn um,
kurz darauf sei er schon wieder wohl.
Onyx dank es, Holger solle Mumm
zeigen, an die Zukunft denken, nicht sein dumm.
Nahmen schwere Zang vom Werkzeugbaum,
suchten Swanehilt in seinem Stall,
streiften über ihm den schilfnen Zaum,
half ihm nichts, dass er machte Krawall,
Per und Holger brachten ihn zu Fall.
Wieherte, als ahnt er ‘s Attentat,
und dann stieg er, schrie, den Widerhall
hörte Gertrud in der Kemenat’,
wo sie grade nahm duftendes Tannenbad.
Jammervoll die Zung herausgestreckt,
liegt im Stroh er, schäumend, Augen starr,
nimmer wieder er nun liebt und deckt,
doch war er nicht oft des Triebes Narr?
Sinnlos, kraftlos seiner Huf Gescharr:
er ist nun ein friedlicher Wallach,
der geduldig zieht die Ackerkarr,
unterm Reiter stur geht und gemach –
keine noch so schlanke Stute macht ihn schwach.
Wird Raïssa sich bedenken neu,
wenn sie sieht, was man ihm angetan?
oder hält sie Swanehilt die Treu,
weil er auch als Wallach ein Vulkan?
Ihr kanns gleich sein, hat er das Organ,
das man ihm zerquetschte, oder nicht:
Er bleibt schön und stark wie ein Titan.
Deshalb sind wir voller Zuversicht,
dass die Freundschaft beider hieran nicht zerbricht.
*
Fengo hält in hoher Halle Hof,
scheinbar ruhig, macht er Politik,
doch ihm fehlt noch viel zum Philosoph,
ungeduldig geht zur Tür sein Blick:
wann wohl meldet Onyx sich zurück?
Welch Ergebnis wird er bringen an?
Hat Hamlet verraten seine Tück?
Oder auch verraten sich als Mann,
der, wie närrisch immer, dennoch zeugen kann?
Harald lehnt an Fengos rechter Seit,
lacht voll Hochmut, seines Werts gewiss,
und entblösst dabei in ganzer Breit
lückenhaftes, blauschwarzes Gebiss,
und wenn, was er denkt, ich hier umriss:
Ihm wärs recht, wenn Hamlet man erschlüg,
um zu retten Ehre jener Miss –
damit selber er bei ihr einst lieg
und sich, gier- und lustvoll sabbernd, an sie schmieg.
Angekündigt durch ein Hornsignal
nähert sich der tätowierte Gnom,
wirksam zögernd im Geschlingportal,
entert er der Halle hohen Dom.
Und sogleich verbreitet das Arom
Schrecken seiner wilden Männlichkeit,
Bittsteller ergiessen sich im Strom
auf den Hof und in die Heide weit,
niemand von ihm Gutes hofft, fürchtet nur Leid.
Onyx aber wirft zu Füssen sich
Fengo, und mit seinen Fäusten drischt
er den Boden, schreit: „Vernichte mich,
denn der Prinz ist unterwegs entwischt
wie vom Sturm verweht ne Flocke Gischt.“
„Und Raïssa?“ fragte Fengo wild.
„Sah am Brunnen, wie sie sich erfrischt
und betrachtete ihr eigen Bild,
nachdem ihre Aufgabe sie gut erfüllt.“
„Hat sie Hamlets Liebestrieb erweckt?“
„Allem Anschein nach hätt sies geschafft,
hätt ihn irgendetwas nicht erschreckt,
das ihm raubte grad erwachte Kraft.
Alsobald ist völlig er erschlafft
und davongerannt, wer weiss wohin.
Raïssa jedoch hat ‘s Kleid gerafft
und ist ebenfalls davon, doch in
dem genau entgegeng’setzten Richtungssinn.“
„Schick mir den, der sie hat ausgespäht!“
„Tut mir leid, o Fengo, denn ich hab
ihm im Zorn die Rübe abgemäht,
ihn begraben bei Horwendels Grab.
Gar zu wütend macht’ michs, dass der Knab
Hamlet dümmlich uns entkommen liess.
Habe ichs verdient, so straf mich ab,
röst mich am gedrehten Bratenspiess!“
Aber Fengo lachte und erliess ihm dies.
„Hast du fragend ihm Vernunft entlockt?“
„Nimmermehr, o Jüte, gross und gut!
Nannt ich Mehl den Sand, hat er verstockt
Mühl genannt des Meeres weite Flut.
Mit dem Ruder eines Schiffs geruht’,
(ich nannts Messer) seine Blödigkeit,
grossen Schinken zu zerteiln. Das Blut
stockt mir in den Adern, dass der Eid
mich soll binden an den Narrn im Königskleid.
Stünde Harald doch an seiner Stell,
den Vernunft beherrscht, nicht eitler Wahn,
ach, wie ging es uns dann very well!“
„O, schon längst wär Hamlet abgetan,“
sprach drauf Harald mit dem blauen Zahn,
„hielte nicht die königliche Hand
über diesen Lump und Liederjan
Gertrud, seine Mutter. Unverwandt
hofft noch immer sie, er sei ein Komödiant.“
„Nein, das ist er nicht! Bevor den Golf
wir des Meers erreichten,“ Onyx sprach,
„kreuzte unsern Weg der alte Wolf,
der noch jüngst in unsre Hürden brach.
Als ich ihn ein Pferd genannt, o Schmach!
sagte Hamlet: ‘Ich will hoffen, dass
viele dieser Pferde unterm Dach
des Gestüts von Fengo sind.’ Fürbass
ritt er, lachte laut, während er rückwärts sass.“
„Bringt mir Raïssa!“ Fengo befahl.
Als sie kam, da wirkte sie verstört,
weich und wirr stand sie im hohen Saal.
„Sag mir, wie du Hamlet hast betört!“
„Alles tat ich, was zur Hur gehört,
hab mich schamlos ihm zur Schau gestellt,
doch er wies mich nur zurück empört
und ist angstvoll dann davongeschnellt,
von des Narren Angst vorm Weibe wie verprellt.“
„Doch es hiess, du hättest es geschafft,
hätte ihn nicht irgendwas erschreckt.
Sahst kein Zeichen du der Manneskraft?“
„Nichts hab, Fengo, ich an ihm entdeckt,
dabei hab ich wirklich ihn geneckt!
O, gekränkt hat meinen Frauenstolz
dieser Narr, so albern und verdreckt,
nicht von Fleisch und Blut, sondern aus Holz,
der nichts weiss von Frauenschönheit – doch: was solls?“
Spricht Harald: „O, es ist jammerschad,
dass an ihn du Reiz verschwendet hast.
Wahrer Mann geschritten wär zur Tat,
hätt nicht die Gelegenheit verpasst,
sondern sie beim schönen Schopf erfasst!“
„Wenn du wüsstest, Fürst,“ Raïssa sagt,
„wie mein Herz den dummen Schwächling hasst,
der mich zu beleid’gen täglich wagt,
könnt’ es sehr gut sein, dass jemands nicht behagt.“
Harald grinst und fühlt sich nicht gemeint,
glotzt auf ihren Busen, sanftgepresst,
Fengo ihr nicht ganz zu trauen scheint,
doch der einz’ge Zeuge schlummert fest,
weshalb er sie widerwill’g entlässt.
Da kommt Nachricht: Wilder Wölfe Hord
hab zerbissen schützendes Geäst,
sei gedrungen in Gestütes Port,
und hab viele edle Pferde hingemord’t.
„Das war Hamlet!“ Fengo es entfährt,
doch berichtet ihm sogleich der Koch,
Hamlet sei zurück; zwar ungeklärt
sei, wo er sich rumgetrieben, noch;
als sei nichts gewesen, sitz am Loch
er des Herds mit eschnen Pflöcken viel,
schnitz und beitle sie mit viel Gepoch,
bohre Haken ein voller Gefühl,
treibe also ganz sein altgewohntes Spiel.
Fengo überzeugt sich selbst und sieht
Hamlet, der von Fett und Asche starrt,
dass er in die Glut schaut wie ein Schmied,
überprüfend, ob der Pflock schon hart.
„Sag mir, Klotzkopf, der sich selber narrt:
Was hast du dem Mädchen angetan,
als ihr beiden dort alleine wart?“
„O, Gewalt tat ich ihr freilich an,
wies mir Spass macht, denn ich bin ein Mann!“,
sagt er stolz und krähet wie ein Hahn,
so dass Fengo ihm nicht glauben mag,
fühlt ihm deshalb weiter auf den Zahn:
„Wo war euer Lager, mir jetzt sag!“
„Hingestreckt auf diesen Blättern lag
ich mit ihr und habe sie vernascht!“
Holt hervor, was er gepflückt am Tag,
Fengo ist nicht wenig überrascht,
nach Beweisendem umsonst sein Denken hascht.
Rawil aber sehnte sich nach Dank
für das Zeichen, das er Hamlet gab,
weshalb er ihm sagte frei und frank,
dass er sehr um ihn bemüht sich hab.
Sagte Hamlet drauf mit seiner Gab,
närrisch zu verkleiden die Vernunft:
„Stroh trug einer jüngst vorbei am Grab,
einer aus der Stroharbeiter Zunft!“
worauf viele klagten um des Lands Zukunft.
Fengo gab Befehl, dass Astrid prüf,
ob Raïssa noch sei unberührt.
Doch bevor man Schande ihr erschüf,
kam sie schnell zu Fengo. Und sie schürt
seine dumpfe Angst, die sie erspürt:
„Ja, mich hat gezeichnet böse Spur,
denn der Späher, durch mein Tun verführt,
folgte mir hinaus auf Feld und Flur,
tat Gewalt mir an, beschimpfend mich als Hur.“
Onyx kehrt zurück aus dem Gestüt,
bleich vor Gram; denn gross ist der Verlust.
Manchem Pferd von edelstem Geblüt
stiess er selbst Hirschfänger in die Brust.
Fengo aber zeigt nur wenig Lust,
seinen Klagen sich zu öffnen, weil
allzu deutlich ihm jetzt wird bewusst:
Ihn umschlingt der Lüge feines Seil,
das er gern zerhacken würd mit scharfem Beil.
Doch nicht selber darf ers führn, darum
er zu klagen weinerlich beginnt:
„Wieviel Wermut ist noch in der Kumm,
wie lang er noch durch die Kehl mir rinnt?
Raïssa, sie lügt und Hamlet spinnt,
Onyx schlägt den einz’gen Zeugen tot.
Bald ihr auch auf meine Tötung sinnt,
ach, ich wate nur durch Schlamm und Kot,
nicht ein einziger erbarmt sich meiner Not!“
„Es gibt nichts, Statthalter, was ich für
dich nicht täte!“ sagt gesenkter Stimm
Onyx da: „O öffne mir die Tür,
ich durchschreit sie mit bewährtem Grimm!“
„Es gibt Dinge, Marschalk, die zu schlimm
sind, als dass man sie befehlen könnt!
Ach, durch einen tiefen Sumpf ich schwimm,
niemand mir die Rettungsleine gönnt,
selbst der beste Freund mich nicht mehr kennt!“
„Wenn du wünschst, dass ich ihn töt, ich tus!“
„Königsblut und Wahnsinn schützen ihn.
Thor macht aus dem Königsmörder Mus.
Ach, wär endlich einer doch so kühn,
würd für mich und meinen Sprössling glühn,
sichern ihn vor falscher Fruchtbarkeit,
dass aus Harald Blauzahn möge blühn
Dänmarks Königshaus für lange Zeit,
führend unser Leidland in Geborgenheit.“
„Ich vernahms – und nehms auf meine Kapp!“
sagt der Marschalk und entfernt sich sacht.
Fengo gönnt sich Met, das nicht zu knapp,
auf dem Thron geniesst er seine Macht,
und ins Fäustchen er verstohlen lacht.
Dannn jedoch ein Schrei sein Ohr zerriss:
„Hat er Hamlet doch jetzt umgebracht?“,
voll so abgrundtiefer Bitternis,
dass er sich die rauhen Knöchel blutig biss.
Aus der Küche drang der Schrei hervor,
weit das Echo klang durch hohe Hall.
Fengo zitterte, als ob er fror.
In der Küche waren sie schon all
beieinander, angelockt vom Schall,
und sie beugten gierig sich nach vorn,
so dass Fengo erst einmal den Wall
ihrer Körper teilen musst im Zorn,
und dann sah er ihn, des Schreis armsel’gen Born.
Über ihn gebeugt sass Frau Gertrud,
seinen Kopf hielt sie in ihrem Schoss,
seinem Schoss entströmte dunkles Blut,
das in Müll und Asche sich ergoss.
O, was haben sie dem edlen Spross
des Horwendel Böses angetan?
Wars denn nicht genug, dass ihn umschloss
jene Welt aus witzgewandtem Wahn?
Wird geworfen er aus seiner Sternenbahn?
Gertrud aber, als sie Fengo sah,
sagte zu ihm nur den einz’gen Satz:
„Rache will ich, Rache für das da!“
beugte sich herab: „Mein armer Schatz,
wie ich doch das Leben dir verpatz!“
Stimmte dann sanftes Popeia an,
während sich des Feldschers blanke Glatz
beugte über den ehmal’gen Mann,
der uns nur von ganzem Herzen dauern kann.
Fengo schwört beim Eisenhammer Thors,
dass die Täter treffe seine Wut,
dass man stosse sie in Flut des Moors,
wo das Wasser seine Wirkung tut.
Und damit Gerechtigkeit nicht ruht,
überträgt er Onyx schweres Amt:
Er soll schonen weder Geld noch Gut,
die ermittelnd, die zur Tat entflammt,
damit jüt’scher Thing sie bald zum Tod verdammt.
Raïssa betritt zum Schluss den Plan –
wortlos schaut sie nieder auf Hamlet,
im Gesicht der Frau aus Tatarstan
etwas wie ein leises Lächeln steht,
fern vorbei es zieht wie ein Komet.
„Freya, Freya, hilf! dich sein erbarm!“
ruft sie aus, und um die Achse dreht
sie sich, fällt und fasst nach seinem Arm
und wird ohnmächtig vor Mitleid, Schmerz und Harm.
Canto 5
Ihr, Tekmessa, widm ich den Gesang,
die im stagnum ihren Leib erfrischt,
weiss der Busen, blond die Rosenwang,
seh ich sie, bevor der Tag erlischt,
durch den tubus, den ich aufgetischt
und mir hab aus Leiden herbestellt:
gibt ein Bild so klar und unverwischt
von der Frau, die sanfte Anmut schwellt –
könnt ich sterben unter ihrer Haare Zelt!
Wie oft bot ich ihr schon Freundeshand,
doch sie schlug sie aus, dem Toten treu.
Und wenn ichs auch übertrieben fand,
fand ichs doch auch achtbar, schön und scheu.
Hoffen wir, dass sie es nie bereu –
doch den Saxo lieh ich mir von ihr –
sie hat viele Bücher, alt und neu,
kennt des Lesens Leidenschaft und Gier
und hat mich schon oft besiegt im Geistturnier.
Nichts, gesteh ich, macht mich mächt’ger an
bei nem Weibsbild als ein kluges Wort –
es erweckt in mir den ganzen Mann
und reisst zu Begeisterung mich fort.
Reichern Jugend, Schönheit den Akkord
lustvoll an, vollendet ihn Unglück:
Wie der Liebste furchtbar ihr verdorrt –
wahrhaft ein gekonntes Meisterstück:
Seltsam, dass mich Leiden derartig entzück!
Hohe Götter, heidnisch und antik,
ehrn durch Leid besonderes Gefäss,
grad als ob sie jenen schönsten Sieg,
übers Selbst, nur fänden dort gemäss
(‘s ist, als ob ichs bei Montaigne läs),
wo noch Adel, Anmut möglich sind,
wie bei ihr, die niemand je vergäss,
ich sie in so hohem Masse find,
dass in Alabaster ihren Ruhm ich künd.
Hier stell ich sie dar als Niobe,
dort als Daphne oder Artemis,
setz ihr Bildnis an den Stiefelsee,
zeig sie in des Grames Bitternis
und wie Trauer ihre Seel zerriss.
Aus Volterra liess ich kommen her
die Skulpteure mit dem richt’gen Biss:
dass ihr Reiz, der mich betört so sehr,
strahl vom englischen bis hin zum balt’schen Meer.
Als der Schnitzer einst den Altar schuf,
der heut schmückt der Kirche Dämmerchor,
war zu schaffen Urpaar sein Beruf,
und da nahm er sich das Mädchen vor,
das dann später seinen Mann verlor,
sie hat ihn zur Eva inspiriert,
die durchschritt der Sünde lockend Tor,
gerne wurd von Satan sie verführt,
Fundament der Tugend hat sie etabliert.
Wahrheit zeigt sich häufig alten Spruchs:
das Verbotne lock uns grade an,
so auch Gertrud, die des Ehebruchs
Spannung sucht bei wieder andrem Mann.
Nimmermehr entfliehen aber kann
sie der Roll als Mutter, weshalb sie
tief im Herzen auf den lover sann,
den zu lieben wär necessity,
um zu schützen ihn, den schwächt Melancholie.
Dort, wo stattlich alte Eiche ragt,
hat, zusamm’geholt mit Lurenklang,
jener sogenannte Thing getagt,
der allein das Recht wägt, nicht den Rang.
Onyx aber, stolz auf seinen Fang,
präsentiert der freien Richterschar
jene zwei, auf die wartet der Strang:
Per und Holger stellen seufzend dar,
was den Plan zu Hamlets Kastration gebar:
„Beide liebten wir ein junges Blut,
eines Fischers Tochter, blond und glatt,
die Hamlet in Adels-Übermut
trunken machte und entjungfert hat.
O, wie hassten wir den Nimmersatt,
vor dem nicht ein Mädchen sicher war,
und auch jetzt, wo ab er hat ein Rad,
schneiden sie sich lieber ab das Haar,
als Freiwild zu sein für Wüstling und Barbar.“
Doch befragt nach dieses Mädchens Nam,
widersprechen sie sich eklatant,
lallen was von Ehrbarkeit und Scham,
weshalb schleunig wird für Recht erkannt:
dass sie vorsätzlich Hamlet entmannt,
wofür man sie würge mit dem Strick
und dann stürz hinab vom festen Land
in des Moores abgrundtiefen Schlick,
aus dem keiner bisher jemals kam zurück.
Thor, der Donnrer, liebt des Opfers Schrei,
wenn es keucht, und aus den Höhlen tritt
ihm das Aug, denn tötend zeigt sich frei
eine Herrschaft, der des Herrschens Mitt
nicht davon, ins Zweifelhafte, glitt.
Einzig Ansgar seine Stimm erhebt:
„Richtet nicht, erhöret meine Bitt!“
ruft er, „denn so wahr mein Heiland lebt,
alles Sein nach Gottes güt’ger Gnade strebt!
Niemals trat doch Hamlet je zu nah
einem Mädchen! Ich verbürge mich
gern für seine Unschuld. Was geschah,
darüber den Stab so schnell nicht brich,
Priester Thors, Scharfrichter fürchterlich!
Unrecht diese beiden han getan,
doch für wen? Die Sache hat nen Stich,
waren sie nicht ausführndes Organ
für nen Dritten, dem sie sklavisch untertan?“
Doch er erntet nichts als Wutgeheul
aus Onyx’ gewaltiger Fraktion;
dieser Mann entwickelt sich zur Säul,
tragend jüt’schen Hofes Korruption.
Doch da führt man sie zur Eiche schon,
die zwei Schächer, und sich fragt Ansgar,
warum sie geduldig bösen Lohn
akzeptieren, jeden Zornes bar:
Ob es alles doch so, wie berichtet, war?
Unter Anrufung des mächt’gen Thor
streift man ihnen über schilfne Schling,
und es beugt sich hinter Gertrud vor
(sie nahm ohne Stimmrecht teil am Thing)
irgendwer, an ihrem Ohr er hing,
raunte ihr was von nem Traum ins Ohr,
den Horwendel, eh ihn Tod umfing,
hab geträumt – da sausen schon empor
jene beiden, derer harrt grundloses Moor.
Wenn sie davon wissen wolle mehr –
und es lohne sich, auf Hamlets G’müt
werf der Traum, das nur ganz nebenher,
neues Licht, so solle im Gestüt,
wenn am Himmel Halbmonds Schein erblüht,
sie sich einfinden um Mitternacht…
Gertruds Wange rosenrot erglüht,
ein Berühren hat sie angefacht,
roh und schamlos, doch der Täter leise lacht.
Als der Schächer Zucken nun erlischt,
schneidet man sie ab und wirft sie in
gelben Moorgewässers braunen Gischt,
mancher Sünder, manche Sünderin
schon für immerdar verschwand darin,
doch wenn heute man abbaut den Torf,
findet manchmal man, Seil unterm Kinn,
eins der Opfer, glatt und ohne Schorf
und bestattets bei der Kirch im nächsten Dorf.
Denn der Same, den Ansgar gelegt,
ging im Norden auf höchst wunderbar,
Harald Blauzahn hat er angeregt,
dass sich taufen liess der Dänen Schar.
Dieser nämlich, Blauzahn, Meister war
in dem langen Kampf um Dänmarks Kron,
die er sich gesetzt ins schüttre Haar,
als endlich besiegt Horwendels Sohn,
doch zunächst sprach dieser aller Tücke Hohn.
In Prinz Hamlet noch einmal erstand
heidnischer Gewalttat roh Symbol,
in ihm blutrünstiger Wiking fand
der Verschlagenheit glanzvolls Idol;
denn er war nicht stark, nur klug, frivol,
er war schön, Kastrat, bar der Moral,
skrupellos wie später der Mongol,
schlangengleich unfassbar wie der Aal,
niemals furchtsam zögernd, wenn er hat die Wahl.
In der Mutter, eben Frau Gertrud,
mächtige Beschützrin ihm erwuchs,
die wir seh‘n, wie sie voll Neugier, Mut
katzenschmeidig wie ein ranz’ger Luchs
und im Glanze ihres Bronzeschmucks,
während sich der Mond im blauen Ost
grad erhob, beleuchtend ihren Wuchs,
der ins Auge floss wie süsser Most,
wahrlich allerschönste Männerwollustkost! –
wie zum Zeitpunkt, der ihr angesagt,
sie hinüberlief in das Gestüt,
dessen Giebel hoch im Dunkel ragt,
doch die Türe sie geöffnet sieht,
schlich nun durch die Still wie ein Bandit,
als sie plötzlich anpackt nerv’ge Faust,
sie brutal und schnell zu Boden zieht,
wo sie sich im Stroh, obgleich sies graust,
jenem Sturmwind hingibt, der sie überbraust.
Tätowiert sind Schulter, Arm und Hand,
tätowiert ist er von Kopf bis Fuss,
selbst das Glied, das seinen Eingang fand,
zeigt nen Drachenkopf in Blau und Russ.
Was für‘n Mann! wie aus metallnem Guss,
einem Dämon gleich besitzt er sie,
sie treibt hin auf dem gewalt’gen Fluss,
und obgleich er rasend wie ein Vieh,
stimmt sofort doch ihrer Leiber Alchimie.
„Was nun hat Horwendel einst geträumt,
das auf meinen Sohn würf neues Licht?“
fragt sie, während er noch aufgebäumt
in ihr weilt, sie mag verlassen nicht.
„O, er hat geträumt“, Herr Onyx spricht,
„vonnem Mundschenk, der herniedersenkt
Riesennetz auf alle… Hamlet flicht
solch ein Teil, das er an Haken hängt
und mit dem er sicher keine Fische fängt.“
„Was geschieht mit denen, die umnetzt?“
fragt Frau Gertrud, nun sie sich getrennt.
„Diese alle, wenns uns auch entsetzt,
er in hoher Halle niederbrennt.
Einem nur gelingts, dass er entrennt,
wer, ist unklar seit Horwendels Tod.“
„Und du meinst, dass dieser Traum benennt
Hamlets Plan?“ fragt sie mit Atemnot.
„Er führt aus, was seines Vaters Traum gebot.“
„Wer weiss ausser dir von diesem Traum?“
„Nur der Christ, Raïssa und Rawil.
Ansgar aber sieht darin nur Schaum.“
„Ich gesteh, auch ich halte nicht viel
von der Träume buntem Wechselspiel.
Dennoch, Marschalk: Fengo nichts verrat!
Andernfalls sag ich ihm, wie ich fiel
dir zum Opfer! Er wird keine Gnad
walten lassen bei so erztreuloser Tat.“
„Warum hast um Hilf du nicht geschrien,
wenn Gewalt nur dich zu Boden warf?
Warum schmückt dich Bronze und Rubin,
wenn man dir nicht nähertreten darf?
O, du warst doch wie ein Messer scharf –
niemals sagst du, ich missbrauch Vertraun;
wenn dus tust, so warte nur: Ich harf
Fengo dann was vor von treuen Fraun,
dass es ihn, den Einfaltspinsel, sehr erstaun!“
Als empört sie ihre Ehr bemüht,
und sich aufsetzt – rote Fackel, blak! –
in dem Schein er ihre Schultern sieht
und alsbald schon wieder in ihr stak.
Hartes Stroh ersetzte Leinenlak’,
sie vereinten sich, von Lust bestürzt,
sie war Öse, und er war der Hak’:
Leidenschaft, von Liebe unverkürzt,
überwältigend mit Angst und Hass gewürzt.
*
Hamlet aber bei dem Herde stand,
Haken biegend und versenkend in
eschne Pflöcke, die er alsdann band
über seinen schmalen Rücken hin,
bald in diesem, bald in jenem Sinn.
Raïssa, sie brachte ihm ein Mus,
angemischt aus Weizen sarrasin,
er entbot ihr nicht mal Dankesgruss,
ass davon rein nichts, schobs weg mit linkem Fuss.
Als sie traurig rauf zur Kammer stieg,
öffnet’ er des Schweinekobens Klapp,
draus ertönte freudiges Gequiek,
schob das Mus den Quiekenden hinab,
die’s begruben in der Bäuche Grab.
Schloss die Klapp und legt’ sich in die Asch,
hoffend, dass den Hunger Schlaf erlab –
doch da spürt’ er eine Hand sich lasch
auf die seine legen und verschwinden rasch.
Und es murmelte: „Komm, füll den Wanst!
Ich weiss einen Weg, wie du, mein Prinz,
ohne Scheu dich gut erhalten kannst!“
Rawil wars; er reibt ihn ein mit Minz,
hüllt ihn in die Haut gefleckten Rinds,
trägt ihn dann durch monderhellte Nacht
Wege eines Dünenlabyrinths,
wiegt ihn in den starken Armen sacht,
hat ihn auf des Vaterbruders Hof gebracht.
Dort erwarteten ihn in dem Saal
eines Hauses, gross wie ‘n Drachenboot,
Frauen aus dem Volk, drei an der Zahl,
die gerührt des künft’gen Königs Not,
weshalb sie ihm offerierten Brot
aus der Brüste weissem Überfluss.
Und die erste, Kari, Haare rot,
fein gefleckt die Haut vom Sonnenkuss,
ihre Dienste ihm mit diesen Worten bot:
„Wähle mich und trink dich bei mir satt,
dir allein soll meine Milch gehörn,
denn mein Kindchen, bei Geburt schon matt,
holte Hel – da half mir kein Empörn.
Wenn du aber wirklich mich willst körn,
hoffe ich für dich auf höchsten Lohn:
Nicht nur Dänemark soll auf dich hörn,
dein sei’n Engellands und Schottlands Thron,
deine ganze Freude werde süsser Sohn.“
Lächelnd hörte Hamlet sich das an,
wandte sich dann zu der nächsten Amm,
Sigrun, sie war schlank wie eine Tann,
Hüften eckig, doch die Zapfen stramm:
„Werde du mein Säuglings-Bräutigam!“
rief sie aus, die Augen glühten schwarz.
„Sei mein königliches, holdes Lamm,
das mir saugt an Brust und brauner Warz,
deinen Mund erfülle Kraft und Duft von Harz!
Du wirst mächtig wie der Kiefer Stamm,
höchste Weisheit wird beschert dir sein,
dein Gedächtnis wird des Wissens Schwamm,
und dein Rat ist aller Klugen Wein.“
Hamlet aber fand die Zitzen klein,
weshalb Gerlind er, die dritte, kor,
deren Haut wie Seide war so fein,
blau die Adern schimmerten hervor
aus dem üppig weiss gehäuften Holz vorm Tor:
„Wollust soll dir werden und Genuss,“
lispelt sie, „hast du mich ausgeleert,
ja, dein Leben sei ein einz’ger Kuss,
keine Freude sei dir je verwehrt!“
Hat den Rücken ihm dann zugekehrt,
die Glutäen schmückten Grübchen hold,
Hamlet hat, von Hunger fast verzehrt,
laut gelacht, am Boden sich gerollt,
während sie geschüttelt ihrer Locken Gold.
Er erprobte aller Ammen Milch,
die von Kari hats ihm angetan,
sog sich voll mit ihr wie trockner Zwilch,
keine Spur zeigt’ er von scheinbarm Wahn.
Wie ein Kätzchen, satt von fetter Sahn,
sank zu Boden er in Trunkenheit,
grad als sei er voll mit Baldrian.
Rawil zog ihm aus das schmutz’ge Kleid,
tiefer Schlummer liess vergessen ihn sein Leid.
*
In der Frühe aber näher schlich
Rawil Hamlets stiller Lagerstatt,
Kleider, frisch und neu, trägt er bei sich.
Doch da hört er Stimmen – und er hat
sich bedeckt mit ner geflochtnen Matt,
hat, es muss gestanden sein, gelauscht,
was ich ihm als Hamlets Freund gestatt,
nicht hat häm’sche Neugier ihn berauscht,
Herzenssorg will wissen: Was wird da geplauscht?
„Ist denn dein Erinnern völlig fort,
wie du mich in frommer Leidenschaft
hast umarmt am düstern Opferort,
bist ermattet nicht und nicht erschlafft!
Wie hab ich genossen deine Kraft!
Ja, ich weiss, was sie dir angetan,
dennoch Sehnsucht fast dahin mich rafft…
Komme wieder über mich, Orkan!
Leg es ab, das Kleid, gewirkt aus Witz und Wahn!“
Seufzer folgen nun und dann ein Schrei:
Hamlet ist es, der um Gnade fleht:
„Bitte, Liebste, lass die Turtelei,
Schlimm es leider um Freund Hamlet steht!
Meine Mannheit hat Gewalt verweht,
ich bin nur noch armsel’ger Kastrat,
daran ändert nichts Gebet noch Met,
bin verstümmelt durch ruchlose Tat
von zwei Lümmeln, denen Onyx gab den Rat.“
„Meine Liebe, teurer, grosser Prinz,
hängt doch nicht an deiner Zeugungskraft!
Schau nur mein Gesicht und siehe: Rinnts
aus den Augen nicht vor Leidenschaft?
Ach, der salzige, der Augensaft
zeigt dir an das einzig grosse Muss:
immer bleib ich in der Liebe Haft,
deshalb lautet eisern mein Beschluss:
die Tatarin geht nicht von dir ohne Kuss!“
Leise sagt nun Hamlet und bestimmt:
„Ich weiss nicht, was ich an dir einst fand.
Wenn sich Hamlet je ein Ehweib nimmt,
muss es sein von königlichem Stand.
Drum befehl ich dir: Gewinne Land!
Glaube nicht, weil ich mit dir gespasst,
dass daraus ein Anspruch dir entstand!
Alles, was du willst, ist angemasst,
macht dich mir, je länger, desto mehr verhasst.“
Raïssa: „Mir deine Lieb entzieh,
bleibst mein Liebster du doch immerdar.
Worauf aber richtet dein Genie
jetzt sein Augenmerk, das sag mir klar!“
Hamlet setzt sich hin und steilt das Haar
auf zu einem gockelart’gen Kamm:
„Einen will ich Nordens Völkerschar
um der Weltenesche ew’gen Stamm
vom vulkan’schen Thule bis zum Wolgaschlamm.
Norweg, Schweden zähln zu diesem Reich,
England, Schottland und das kelt’sche Wales,
Vinland auch jenseits vom grossen Teich
und die Insel mit dem Kreidefels.
Slawien, wo in der Elb der Wels
fächelt Algen schmatzend mit dem Strom,
soll gehörn zu diesem Reich. Ich stells
an die Seite jenem alten Rom,
das, so riesenhaft einmal, fiel in Atom.
Und das Mittel für den grossen Plan
sind die Boote, seetüchtig und schnell,
überlegen jedem andren Kahn,
tragen sie uns über härtste Well.
Ganz Europa unser Schrei durchgell,
einen soll es harte Wikingfaust!
Nie zurück ich meinen Ehrgeiz stell,
bis der Nordsturm sich hat ausgebraust
und du mich als Herrn der Welt erschaust!“
„Ach, was nützt dir noch so grosse Macht,
wenn dich Liebe nicht ernährt und hält,
wenn du sinkst in herzenskalte Nacht,
dich nur fürchtet und nicht liebt die Welt –
Schicksal für so manchen armen Held.
Hier jedoch ist die, die um dich weint,
kehrst du nicht zurück zu ihr ins Zelt,
deren Kraft du trinkst, mit ihr vereint,
die die Menschen sondert dir in Freund und Feind.“
„Bitte lass mich, pirsch dich nicht heran,
andernfalls du selber dich entleibst.
Nimmermehr bin ich für dich ein Mann,
wenn du willst, dass du mir Freundin bleibst.
Mir zulieb du dich hinfort entweibst –
bei der Kerze umgesunknem Docht!
Andernfalls du mich nur von dir treibst,
obgleich ich dich doch einmal gemocht:
unsre Lebensfäden Nornenhand entflocht.“
Raïssa hat schreiend aufgeweint
und die Hände auf den Leib gelegt,
Hamlet aber, ganz gleichgült’ger Feind,
pfiff ein Liedchen sichtlich unbewegt,
hat dann jene Kleider angelegt,
die Rawil ihm statt der alten bot,
sah darin aus schön und wohlgepflegt,
wusch sich auch vom Antlitz alten Kot,
und Rawil malt’ ihm die Lippen purpurrot.
Als er, so geputzt, die Küch betrat,
rieb die Augen sich das Personal,
Küchenjunge rief: „Der Herr Kastrat
geht wohl heute noch auf einen Ball!“
Des Gelächters kreischend-lauter Schall
bis zu Fengo in die Kammer drang,
wo er träumte von dem Sündenfall:
wie die Schlange um den Baum sich schlang –
vor des Ansgar Sündenpredigt war ihm bang.
„Sofort fordre man von Rügen an
den berühmten Magier Mstivoj,
der, ein zauberkundiger Schaman,
überwinden soll des Hamlet Scheu
vor der Ärzte Kunst und Giftgebräu!
Bitte unterstütze das, Gertrud!“
Doch ihr Bett war unbenutzt, wie neu,
noch mehr Angst ihm auf die Seel‘ es lud,
in ihm keimte Eifersucht, ja, Eiferwut.
Canto 6
In der Weichsel weitem, flachem Land
sich in langen Stammesfehden das
Volk der Polen sammenrauft’ und -fand,
überwand den gift’gen Stammeshass,
der so lang war böser Aderlass,
dem die Slawen an der Elbe schon
fieln zum Opfer, denn, ich sag es krass:
hätten sie wie Polen zur Nation
hingefunden, stünd in Mecklemburg ihr Thron!
Weit hinein ins alte Slawenland
schau ich hier, die Füsse am Kamin,
denn damit dies Land zum Frieden fand,
musst’ es manchem Sturm sich unterziehn.
Ausgelöst vom Mönche Vizelin,
dessen Glatzkopf mir als Spukvision
gestern noch am Bergfriedsfuss erschien,
war vergebens christliche Mission –
Löwe erst brachte die Wenden zur Raison.
In die Wälder, Auen, Brüche zog
das geschlagne Volk sich still zurück,
wo es, wenn mein Augenschein nicht trog,
jagend, fischend, singend findet Glück.
Gerne sagt man nach ihm grosse Tück,
kann ich nicht bestät’gen, tut mir leid.
Ich führ all ihr Unglück eh’r zurück
auf der Sachsen Geldgier, Missgunst, Neid,
die den slaw’schen Nachbarn brachten schweres Leid.
Damals aber hob sich hoch und stolz
bei Arkona über weisser Erd
Swantewit, grässliches Bild aus Holz,
mit vier Köpfen in vier Wind‘ bewehrt.
Allerheiligst war ein weisses Pferd,
das man über Stäbe gehen hiess,
das man nahezu wie Gott verehrt,
sich von ihm die Zukunft weisen liess:
Mstivoj trug hier des Priesters schwarzes Vlies.
Da er als Schamane war bekannt,
der schon Polens Königin geheilt,
ihre Geisteskrankheit hat gebannt,
die sie wie ein Krake hatt umseilt,
wundert er sich nicht, als zu ihm eilt
dän’scher Bote und ihn fordert auf,
dass er komm nach Jütland unverweilt,
wo die Krankheit des Thronfolgers, schnauf,
leider nimmt sehr unglückseligen Verlauf.
So betritt die Halle blass, brotblond,
Swantewits Erzpriester Mstivoj,
nimmt die Stufen mit nem Sprung gekonnt,
tritt vor Fengo in dunklem Gebäu,
denn als Magier kennt er keine Scheu.
In dem Mantel ganz aus Maulwurfsfell
steht er da, es kreischen laut die Säu,
springen wild umher und quieken grell,
grad als rettete vorm Beil sie das Gegell.
Ase Odin liebt des Opfers Rauch,
darin sich bestätigt der Vertrag,
den er schloss, wie es besagt der Brauch,
mit den Menschen einst vor Jahr und Tag.
Niemals ihm so sehr am Töten lag
wie am Schrecken vor unschuld’gem Blut,
dass der Mensch mal innehalten mag,
sich erinnernd an sein höchstes Gut
und sich stärkend an der Kraft aus Fleisch und Sud.
Jene Ordnung ists, die vor Gewalt
uns beschützt in unsrer Gruppe Hut,
die an sich zugrunde ginge bald,
überliesse sie sich angestammter Wut.
Beispielhaft zerstört in Frevelmut
der, der opfert, was zu schützen ist,
alle dann durchschauert heil’ge Glut,
jetzt begreifst du erst, dass Mensch du bist,
allzu sehr geschaffen für tödlichen Zwist.
Bei dem Mahl, das man dem Ranen gibt,
tritt auch Gertrud auf im Fibelkleid,
jeder weiss, wie sehr sie Hamlet liebt,
dass gezeichnet sie von schwerem Leid
um des Sohns andauernde Krankheit,
für die sie verantwortlich sich fühlt,
ob sie gleich nicht weiss, warum, wie weit.
Sie wirkt hitzig, fiebrig, aufgewühlt,
weshalb sie die Stirn mit feuchten Tüchern kühlt.
Doch nicht lange hält beim Opferschmaus
Mstivoj, der höflich mitgezecht,
es mit seinen Auftraggebern aus,
bittet sie auf Dänisch recht und schlecht
(welches Glück, dass er es radebrecht!),
dass man ihn zu dem Erkrankten bringt,
findet ihn geputzt wie bunten Specht,
wie er mit der Rechten, goldberingt,
auf nem Hocker sitzend, die Wirknadel schwingt.
Schaut ihm erst einmal neugierig zu,
mustert seinen Habitus, die Haut,
fragt beiläufig ihn, was er da tu,
auf die Hände er bedachtsam schaut,
sieht zwar noch, wie seine Wange kaut,
doch er dann aus allen Wolken fällt,
als ihm Hamlet auf die Backe haut
und laut ruft: „Ist gross genug die Welt
nicht, dass dieser Maulwurf sich bei mir aufhält?“
Drauf entschuldigt Swantewits Schaman
sich bei Hamlet für die Dreistigkeit,
ohn sich vorzustellen ihm zu nahn,
legt es ab, aus Maulwurfsfell das Kleid,
gibt ihm über sich artig Bescheid.
Hamlet aber mustert unterdes
den Besucher, schüttelt sein Geschmeid,
richtet mit gezierter Delikatess
den schon wieder schmutz’gen Barchentdress.
Lässt den Magier reden unentwegt,
Fragen stellen frei nach Lust und Laun,
schweigend seine Schläfe sich bewegt,
grad als würde er was Zähes kaun.
Dann verordnet Mstivoj Alaun
sowie Theriak, stark konzentriert.
Hamlet aber giesst die Brühe braun
in die Rinne, die zum Saustall führt,
als ihn der Schamane grad mal nicht fixiert.
Schliesslich bringt des Hamlet Schweigsamkeit
Mstivoj dazu, dass er ihm klagt,
wie sein Amt ihm bringe vieles Leid,
und ihm auch von seinen Ängsten sagt.
Zwar noch immer hoch und trotzig ragt
Swantewit auf Rügen übers Meer,
doch an Mstivoj der Zweifel nagt:
was bedeutet schon ein Glaube, der
eine Tageswandrung weiter gilt nicht mehr?
„Gerne folgt’ ich deines Vaters Ruf,“
sagt er drauf und blicket trüb zur Erd,
„denn, was uns bedeutet mit dem Huf
unser heiliges, das weisse Pferd,
es erscheint mir sinnlos und verkehrt,
was wir da geheimnissen hinein,
manches Mal schon wollt ich mich ins Schwert
stürzen und beenden leeres Sein,
denn was bin ich mehr als ein verlognes Schwein?“
Hamlet hat das alles wohl gehört,
doch ein einz’ges Wort nur trifft ihn tief:
„Was an deiner Ausführung mich stört,
dass ‚mein Vater‘ dich nach Jütland rief.
Gestern er noch in der Erde schlief,
weil sein Bruder ihm auftrug, zu Hel
hinzubringen einen Runenbrief,
der enthielt verschlüsselt den Befehl,
dass ans Licht sie nie zurücklass seine Seel.“
„O, entschuldige! Ja, ich vergass,
deinen Vater kühle Erde deckt.
Liegt dort unten als der Würmer Frass,
weil er vorzeitig im Bett verreckt.“
Hamlet höhnisch seine Zähne bleckt,
denn er spürt erneut das glatte Eis.
Und erwidert dann recht aufgeweckt:
„Warte nur, bis dass du Würmerspeis‘,
auch aus dir wird mit Verlaub dereinst kein Greis.“
„Bist du deiner Mutter etwa gram,
dass sie, missachtend die Trauerfrist
und damit verletzend auch die Scham,
gleich in Fengos Bett gekrochen ist?“
„Jedes Tier“, sagt Hamlet fröhlich, „frisst,
was Natur zu fressen ihm auftrug.
Schwarzen Mistkäfer ernährt der Mist,
weshalb ich bisher danach nicht frug,
was Frau Gertrud hält für Unfug, was für Fug.“
Zur Beratung ziehen sich zurück
Fengo, Gertrud und der reis’ge Ran,
draus hervor geht jenes Meisterstück
von so abgefeimt wie schlauem Plan,
der enthüllen soll des Hamlet Wahn
als der Rache ausgetüftelt Larv,
doch stattdessen küsst den Scharlatan
(so ich ihn jetzt wohl benennen darf)
des Horwendel blanke Eisenzunge scharf.
Sein Gedanke wars: Hamlet allein
mit der Mutter lassen, damit er
ihr enthülle seine Seelenpein,
seines Denkens rätselhaft Woher.
Gertrud willigt ein – doch nur, wenn der
Mann von Rügen auch das Haus verlässt,
sobald Fengo aufbricht mit dem Heer,
und zurückbleibt nicht der kleinste Rest
vom Gesind, auf dass kein Zeuge sie erpresst.
Denn zwar leidet sie darunter, dass
Krankheit Hamlets Würde setzt herab,
doch noch mehr fürchtet sie Fengos Hass,
reisst er ab ihm seine Narrenkapp.
Dann erst schnappt nach ihm modriges Grab,
und er muss die Hoffnung auf den Thron
endgültig geben an Harald ab,
der mit Ansgar einging Koalition
und den Väterglauben übergiesst mit Hohn.
*
Morgens tritt ein Mensch auf leiser Sohl
zu Hamlet, und der, befürchtend Leid,
richtet auf sich aus Asch und Holzkohl’,
vor Besorgnis lauthals er aufschreit.
Onyx steht vor ihm im Reisekleid:
„Tut mir leid, dass ich so früh dich weck!
Doch uns kam aus Hälsingör Bescheid,
bald schon nähm der Tod Rerik hinweg,
weshalb Fengo zu ihm zieht mit grossem Treck.“
„Gern verreist stinkender Wiedehopf!
Meinen Reisemantel bring man mir!“
Onyx schüttelt traurig runden Kopf:
„Deine Mutter bittet: bleibe hier!
Denn des Vaters Leid bereitet ihr
schweres Unwohlsein, Kopf- und Leibweh,
selbst des ran’schen Arztes Elixier
half ihr nicht (aus bittrer Aloe).
Bleib bei ihr, bring ihr Lakritz und Fencheltee!“
„Bleiben beide also wir allein,
sei’n wir selber unser Hausgesind!
Füttern eigenhändig Pferd und Schwein,
Da ja alle fortgegangen sind!“
„Des bekümmer dich nicht, Königskind,
um die Tiere sorgt sich Bauersmann.
Und hier hängt geschlachtet halbes Rind,
damit jemand Brühe kochen kann.
Loki lasse uns gelangen gut voran!“
„Wünsch dem alten Knaben bald’gen Tod –
diese Welt, sie lohnt das Leben nicht!“
Doch hinaus ist tätowierter Bot,
Leere malt sich in Hamlets Gesicht,
den ‘s Alleinsein sicher nicht anficht,
doch er merkt, dass irgendwas nicht stimmt,
nicht nur er an einem Netze flicht,
weshalb er zunächst die Tolle trimmt,
wobei ihn ein Wort des Ranen schwer ergrimmt,
der von Gertrud sprach wie von ner Hur –
und hat er damit nicht Recht gehabt?
Bald schon wandert Hamlet durch den Flur,
schlaff sein Fuss den eschnen Boden schabt.
„Bringst du mir Getränk, das mich erlabt?“
fragt mit schwacher Stimme ihn Gertrud;
„o, ich fürcht, dass ihr mich bald begrabt,
denn es ist mir heute gar nicht gut,
grad als fieberte mein gar zu dickes Blut.“
„Die sich meine Mutter hat genannt,
weisst du wohl, wie wir nach Väterbrauch
strafen Ehebruch, wird er bekannt,
sag es mir, du geiler Hurenschlauch!“
„Bitte, Hamlet, bitte dich, was auch
ich dir angetan, mein lieber Sohn,
voller Liebe trug dich dieser Bauch,
bitte, bitte, auch im Nam’ der Kron,
sprich mit deiner Mutter nicht in diesem Ton!“
„Man ertränkt’ sie wie räudige Katz,
nachdem man durchs Dorf sie hat gejagt!
O, was wärest du mir für ein Schatz,
hättest du zu rächen ihn gewagt!
Doch du machtest dich zu Mörders Magd,
und dass er sein Bruder ist, befreit
dich vom Vorwurf nicht, o nein, es klagt
an dich unglaublicher Dreistigkeit,
da sein Unschuldsbruderblut zum Himmel schreit.
Wärest du nicht meine Mutter, glaub,
hier, mit diesem Schwert, das ihn ermord’t,
würd ich dich durchbohren, beidseits taub
für Gewinsel, das sich Gnad erschnorrt,
dieses Schwert, entstammend Reriks Hort,
womit er gewann so manchs Gefecht –
o warum bin ich nicht ganz verdorrt,
als man mir zermalmte das Gemächt!
Wie die Welt und du und alles ist so schlecht!“
Schwang das Schwert in seinen Händen, hui!
und erlauschte unter Fengos Stroh
was wie einen Seufzer… Schreiend: „Pfui!“
sprang er drauf, versenkte schadenfroh
Eisenzung in Strohsack und Plumeau,
zieht heraus sie; sie ist nass von Blut,
und mit nem erbarmungswürd’gen „Oh!“
flieht des Lauschers Seele unbeschuht
nieder zu Frau Hel, wo heizt des Hekla Glut.
Zieht hervor den toten Mstivoj,
den Gertrud kaum mit Empörung sieht,
als sie ruft: „O Hamlet, nicht gereu
dieser Streich dich, denn der Ränkeschmied
hinterging auch mich! O wie perfid
wars von Fengo, der ihm das befahl
und zu halten sein Versprechen mied.
Ja, beseit’ge seinen Leib brutal –
ich verrat kein Sterbenswörtchen dem Gemahl.“
Hamlet ihn über die Schulter warf,
trug ihn fort, Frau Gertrud aber rieb
sauber ‘s Schwert, das, angelaufen, scharf,
heute dänische Geschichte schrieb.
Da Hamlet recht lang abwesend blieb,
zog sie auf nen frischen Bettbezug,
stopfte auch den Strohsack voller Lieb,
trug so bei zu grässlichem Betrug,
Hamlets ungeheuern Ruhm gründend mit Fug.
Blutbeflecktes Leinen aber wusch
sie im Zuber wieder blendend weiss,
tat so alles, dass sie gut vertusch,
welchen hohen, welchen herben Preis
zahlt’ der Rane, weil er dem Geheiss
Fengos folgte und belauscht sie hat.
Doch sie ahnt nicht, dass er Schweinespeis
mittlerweil schon ist und eine Ratt
an seiner gekochten Leber wurde satt.
Da jedoch kehrt Fengo stracks zurück,
weil, so heissts, ihm sei gekommen Mär,
dass noch einmal Rerik mit Geschick
von des Todes Schipp gesprungen wär.
Wartet ein paar Stunden ungefähr,
dass ihm Mstivoj gäbe Bericht,
als er ausbleibt, ist bald los der Bär,
überall wird er gesucht mit Licht,
doch wo immer man auch sucht, man find’t ihn nicht.
Gertrud sagt (womit sie wenig log),
dass sie nirgends ihn gesehen hab,
und sie schilt, dass Fengo sie betrog,
als er ihm zu bleiben Weisung gab.
Als sie Hamlet suchen, liegt der Knab
an dem Fuss der Bohlentrepp im Flur,
krampfend und umklammernd einen Stab,
den man nimmt zum Brüherühren nur –
doch von Brühe find’t sich nicht geringste Spur.
Fengo, der, von dumpfer Angst gepackt,
zitternd sich zurückgezogen hat,
wird im Bett von Träumen arg geplackt,
wie auf eingeseiftem Boden glatt
er dahinglitscht und zum Schluss ganz matt
aufgibt, leise murmelnd: „Das ist Mord!“
greift nach Gertrud, doch ihre Bettstatt
ist nicht etwa leer nur, sondern fort –
sie zog‘s vor, zu schlafen annem andern Ort.
Doch als dann das Hausrotschwänzchen knirscht
und die Sonne sich mit Urgewalt
in des Himmels blaue Schönheit pirscht,
fällt von Fengo ab Bedrückung bald.
Froh schwingt er der Beine Kraftgestalt
(rechten Schenkel zieret weisse Narb)
aus dem Bett und ruft: „Des Odin walt,
dass ich hier nicht länger lieg und darb –
Himmel weiss, warum ich Gertrud je umwarb!“
Ihm fällt eins der welschen Mädchen ein,
die er aus Paris hat importiert,
einmal sah er, wie sie, hoch das Bein,
sich die schlanke Wade hat rasiert.
Damals schon hat er mit ihr poussiert,
doch vorm Ehebruch zurück er schrak,
da ihn seine Stellung hat geniert,
aber jetzt plant er ein Trinkgelag –
Lieb und Freiheit lachen ihm auf einen Schlag!
O, wie hiess sie doch, die Schnecke, noch?
war ihr Name nicht, Moment! Edvig?
Stach sie nicht ins Aug ihm letzte Woch,
weil im Kreis der Lachenden sie schwieg?
O, wie leid ist er den Ehekrieg,
und er wittert Spannung, Liebeslust,
malt sich aus über Edvig den Sieg,
wie sie darbeut ihm geschminkte Brust,
denn wahrscheinlich liebt sie ihn schon unbewusst!
Auf dem Flur erhebt sich jetzt Getös,
auf die niedre Kammertür man reisst,
Knochen bringt man und ekles Gekrös,
das vor Fengo man zu Boden schmeisst.
Fengo aber schreit, sein kühner Geist
ist für einen Augenblick getrübt.
„Es hilft nichts,“ sagt Onyx, „dass du schreist,
grauenvoll Verbrechen ward verübt.
Bald muss Gertrud sich entscheiden, wen sie liebt.“
Grässlich bleckt des Toten Schädelbein –
Fleisch- und Hautreste haften daran –
„Dieses Land wird jetzt für dich zu klein,“
murmelt Fengo, „nur wohin und wann
ich dich fortschick, fragt sich noch, doch dann,
o, verlass dich drauf, sind wir dich los,
o, du grässlicher, ehmal’ger Mann,
widerlicher Bankert, Gernegross,
stinkender, rachdurst’ger Trauerkloss!“
Gibt Anweisung, dass der edle Ran
werd bestattet, wies bei Jüten Brauch:
auf nem Kahn, den man dann zündet an,
denn der Donnrer liebt Bestattungsschmauch.
Kaum verzogen ist der dichte Rauch,
(Fengos Antlitz ist von Hass verzerrt)
als von jenem Eiland, das sich auch
schönster Kreidefelsen rühmt, alert
sendet Botschaft Fengos Freund, König Egbert.
Mit dem Volk der Angelsachsen, das
vor viel hundert Jahren übers Meer
nahm das Land der Briten ohne Hass
(weite Gegenden warn menschenleer),
hat man viel gekämpft mit Schwert und Speer,
dennoch fühlt man sich beinah verwandt,
steht in fast freundschaftlichem Verkehr,
weshalb Egbert Botschaft hat gesandt:
gern säh seine Tochter dänisch er bemannt.
Doch dem Christentum muss sein geneigt,
wer um Annas Weisshand sich bewirbt,
denn ihr Gatte eines Tags besteigt
brit’schen Thron, sobald King Egbert stirbt.
Und damit die Kirche nicht verdirbt,
die den Zehnten nimmt jedes Quartal,
hat sie Egbert so lange zermürbt,
bis auch ers geboten fand, normal,
dass er Taufe nahm, Beichte und Abendmahl.
Kennen lernten sie sich durch das Schwert,
als sie vormals ausfochten Duell.
Schon am Boden liegend rührt’ Egbert
Fengos hartes Herz mit dem Appell:
„Sollten wir nicht Brüder werden schnell,
einand nehmen das Versprechen ab:
dass wir jeden, der des andern Fell
auch nur ankratzt, schicken in das Grab –
wer den andern braucht, sagts ihm per Runenstab!“
„Nicht als Eidam send ich Hamlet hin,
sondern als Vertrages Opferlamm,“
geht es Fengo leuchtend durch den Sinn,
„totem Hamlet folgt als Bräutigam
dann mein Harald, wohlgestalt und stramm,
wahrhaft würdig der britischen Kron.
Ja, so zieh ich mich aus allem Schlamm,
und ist Englands König erst mein Sohn,
kann man kaum ihm vorenthalten Reriks Thron.“
Schnell wird überall nun ausgesprengt,
dass es Hamlet für sein künft’ges Amt
auf ne weite Bildungsreise drängt,
und für Angelland sei er entflammt,
woher seine Grossmutter ja stammt.
Denn des Rerik Frau, Mutter Gertruds,
war wie ihre Magen insgesamt
alleredelsten englischen Bluts –
doch ging sie verlustig des Familienguts.
Onyx wählt ihm Eik’ und Olaf aus,
glatte Diener mit geschmeid’gem Mund,
sie solln bringen ihn in Egberts Haus,
überreichen Speer mit Runenkund.
Hamlet aber schmückt sich kunterbunt,
labt noch einmal sich an Karis Brust,
mit Rawil, Raïssa manche Stund
bringt er hin in Abschiedsschmerz und -lust,
der Gefahren dieser Reise sich bewusst.
Canto 7
„Bin ich wohl gewachsen diesem Werk?“
frag ich oft mich in der Westwindluft,
mich mit Blick durch meinen Tubus stärk,
und mich manchmal fühle wie ein Schuft,
der am besten läg in dunkler Gruft.
Doch wenn sie dann selber mich besucht,
mich verwöhnt mit ihrem Zimmetduft,
fühl ich mich gleich weniger verrucht.
Dank der Muse, die mich zwingt, zu halten Zucht!
Denn im Augenblick begangner Sünd
scheint sie harmlos, ja, von Gott gewollt,
wenn ich mich ernüchtert wiederfind,
dann erweist als Blei sich frühres Gold.
Ach, was war ich für ein Wollustbold,
hab verletzt, wo ich am meisten lieb!
Reue ist der Sünde bittrer Sold –
deshalb war ich froh, wenn sie den Trieb
mich zu bändigen erzog und Freundin blieb.
Ja, ich bin dem Namen nach ein Christ,
spreche niemals meinem Heiland Hohn,
der zu retten uns gekommen ist,
habe eingeführt Reformation.
Doch seit nun in Gottes Nam der Sohn
drischt auf seinen Vater, Bruder auf
seinen Bruder ein, erklingt Misston,
dissonantes Bürgerkriegsgerauf,
Nächstenliebe ward ersetzt durch Hassgeschnauf.
Holland, Frankreich schwer der Krieg durchpflügt,
hie und da im Reiche er aufflammt,
wer den Frieden sicher nennt, der lügt,
bald schon sind zur Walstatt wir verdammt,
können froh sein, wenn nur Schwert uns rammt
und nicht ärgre Qual als blosser Tod
unser harrt; noch gehen wir in Samt,
kennen keinen Hunger, keine Not,
die pax danica schenkt Ruhe uns und Brot.
Gern betrete ich die Pyramid,
die ich meinem Fredrik bauen liess,
bitte Zeus, dass er ihm Glück beschied;
denn der Krieg der Gläubigen bewies
(und die Konfessionen wissen dies),
dass die Wahrheit hier hat keine Chance,
Bigottrie in jeder Farb ist mies,
weshalb ich bemüht war um Balance,
die jedoch schenkt uns die Renaissance.
Spielerisch bezog ich jene Welt,
die Ovids Verwandlungsbüchlein preist,
fand darin just alles, was mich hält,
bin geblieben, nie zurückgereist.
Äusserlich man Gott Ehrfurcht erweist,
innerlich lebt man in Rom, Athen,
und während die Welt zuseh’nds vereist,
freuts mich, übers forum hinzugehn,
Seneca dort sowie Marc Aurel zu sehn.
Heidnisch aber war und gottlos schön
auch die Welt, aus der die Hamletsag
drang an unser Ohr, geil und obszön,
wie man heut sie kaum noch denken mag.
Doch ich leg sie nicht in Sarkophag,
überstreu sie nicht mit Christlichkeit,
dass von niemand komme mir die Klag:
„Ach, der arme Hamlet tut uns leid,
dass man ihn gesteckt in frommes Kleid!“
Nein, ich lass ihn, wie er leider ist:
bunt und kreischend, derb und koboldhaft,
ungehobelt und beileib kein Christ,
und von merkwürdiger Wissenschaft.
Schon der Vorwürfe moral’sche Kraft,
die er seiner Mutter macht, erscheint
mir als Zutat Saxos, die mir schafft
ein’ges an Problemen, denn verweint
seh ich Gertrud nicht oder vor Reu versteint.
Lang schon lebt von Fengo sie getrennt,
zog zu Raïssa aufs Bauerngut,
manchmal sie zu Onyx heimlich rennt,
der sie liebt mit nicht geringrer Wut.
Fengo aber schlemmt in Met und Blut,
Orgien feiert er mit Männern, Fraun.
Es gefällt ihm, wenn er Unrecht tut,
Todesurteil fällend, Fleisch zu kaun,
lachend seiner Opfer Zuckungen zu schaun.
Überboten wird er von Edvig,
die ihn schamlos in den Schatten stellt,
seit sie ihm gestattet seinen „Sieg“,
ist er der Gehilfe, sie der Held.
Wenn nem alten Diener was hinfällt,
lässt sie ‘n schinden bei lebendgem Leib,
seine Haut wird offen ausgestellt –
Edvig hat Gestalt von schönem Weib –
doch darin fand eine Teufelin Verbleib.
Ihren neusten Schachzug tadelt der
Prediger und reis’ge Missionar:
Fengo zu erlösen von Beschwer,
lässt sie Knaben unter einem Jahr
töten jeden Mitgefühles bar,
denn es hält sich standhaft das Gerücht,
dass Raïssa einen Sohn gebar.
Ob er nun von Hamlet oder nicht,
er muss weg, ist nichts als widerlichs Gezücht!
Als bethlehemit’schen Kindermord
tituliert Ansgar, was Edvig plant,
und erinnert, dass Herodes’ Tort
nur dem Heiland hab den Weg gebahnt,
und auch Fengo, stark betrunken, ahnt,
dass vergeblich alle Grausamkeit,
und auf seinem Throne lotternd, schwant
ihm, dass auf ihn zukommt schwere Zeit,
denn aus England kam beängst’gender Bescheid.
Hamlet lebe, sagte ein Kaufmann,
angesehn am Hofe von Egbert,
der ihm diene seine Anna an,
weil der Prinz ihm sei unendlich wert,
was des Fengo Grauen stark vermehrt:
Schrieb er denn nicht auf den Runenstab,
Hamlet sei die Rückkehr streng verwehrt,
Egbert solle bringen ihn ins Grab?
Fengo trinkt, bis er vom Thron kollert herab.
*
Riesengross schon ist das schwarze Netz,
das Gertrud, eh Hamlet ging auf Fahrt,
zu vollenden nahm von ihm Gesetz,
sie knüpft mit Raïssa Garne hart,
sitzen in der Stube wohlverwahrt,
Feuer flackert wohlig im Kamin,
und zu ihren Füssen krabbelt zart
kleiner Jung mit zutraulicher Mien,
lauscht entzückt, wie knallen Harz und fetter Kien.
Von Edvigs Befehl hörten sie wohl,
doch sie glauben sicher sich im Haus.
Und für schon so manche Hetzparol
fand dann keiner sich, der sie führt aus.
Weshalb sie denn auch mit „Ei der Daus!“,
„Wo ist Hori?“ „Hoppla, kleiner Mann!“
streicheln ihm das Lockenköpfchen kraus,
lachend sagt Gertrud zu Raïssa dann:
„Was für nen Tyrannen ziehn wir uns heran?“
Da steht Rawil wie ein Schatten im
Zimmer, ungemeldet, ernst und stumm:
„Was ich dir zu sagen hab, vernimm!“
sagt er leis und macht den Rücken krumm.
„Männer zehn fast im Delirium,
vom vergossnen Blute wie berauscht,
und vom Wunsch, Edvig zu dienen, dumm,
hab ich überholt, dabei belauscht:
Hori ist des Todes, bleibt er unvertauscht.“
Und bevor sie fragen, was und wie,
hat er sich den Kleinen schon geschnappt,
und während ans Hoftor poltern die
Schergen Edvigs, ist er unertappt
wie ein Bettler dünenwärts geschlappt,
wo sein Pferdchen ihn erwartet hat,
darauf er gen Süden ritt verkappt,
nicht anhielt, eh über Land und Watt
er nicht kam in Irminsuls getürmte Stadt.
Wie hat er den Jungen wohl genährt,
in den Tagen, die er mit ihm ritt?
Ein’ge sagen, dass sein kleines Pferd
eine Stute war, aus deren Titt
Kumys quoll, den er nach alter Sitt
sog und spie dem Knaben in den Mund…
Jedenfalls, sie warn, als sie zu dritt
trafen ein im Bardowiecker Rund,
nicht etwa erschöpft, nein, quietschvergnügt, gesund.
Irmin aber, mächtiger Herzog,
nahm den Knaben selbst in seine Hut,
ein Geschenk, das Schickung ihm zuwog,
wie sie das in seltnen Stunden tut.
Denn mit dänischem und Sachsenblut
Schleswigs Erde allzu voll sich sog!
O wie glücklich sind wir, dass Hausgut
wir des Königs sind, der niemals trog,
und vom Bergfried flattert stolz der Danebrog!
*
Jene wüsten Schergen schäumen zwar,
weil vergeblich sie gekommen sind,
schlagen kurz und klein das Mobiliar,
suchen selbst im Stall bei Pferd und Rind,
doch dann finden sie Kari im Spind,
und in ihrem Arm den kleinen Sven,
ein verlornes, armes Findelkind,
das mit ihrer Milch sie aufzog, denn
lang erwog sie, wie sie andern Hamlet g’wänn.
Dieses Bürschchen, blond und rosazart,
mit zwei Äuglein blau, wie Wasser ist,
packen sie mit Händen, roh und hart,
schleudern es verächtlich auf den Mist,
wo ‘s in seinem Kummer Unrat frisst,
doch besinnen sie sich anders schnell,
denn der Anführer mit böser List,
unter ihres Spottes Hohngebell,
nimmt und birgt es in des Wolfswams warmem Fell,
reitet durch das Moor zu Fengos Haus,
das von ferne wie ein Schiffskiel grüsst,
tritt hinein in einer Feier Graus,
dumpf, laut johlend, lallend, albern-wüst:
Met in Massen, schwer mit Malz gesüsst,
fliesst durch Kehlen, während Teil um Teil
ihrer Kleidung Weiblichkeit einbüsst,
die für Würfelglück sich bietet feil
einer Männermeute, johlend, schwitzend, geil.
Kaum spricht sich herum: Gefunden ward
jenes Kind, das hier im Wege stand –
wollen alle sehen den Bastard,
und er wandert flink von Hand zu Hand,
keiner schnell genug den Wechsel fand,
bis er schliesslich fliegt unter Gelall
hierhin, dorthin, und von Wand zu Wand
wird geworfen durch die hohe Hall,
dient Betrunknen als lebend’ger Schleuderball.
Zu Beginn hat es voll Angst gejankt,
sich geklammert an des Werfers Wams,
doch dann hat es nur noch stumm gebangt,
hat geschickt sich in die Roll des Lamms,
Ansgars Aug, in Zornestränen schwamms,
als er rief: „Es komm sein armes Blut
über euch und alle eures Stamms!
O, wie weh es, das zu sehen, tut!
Wie herunter kam der stolze Wikingmut!“
Doch die Männer hör‘n sein Reden nicht,
und die Frauen, lüstern und vertiert,
spüren nur, wie sie der Hafer sticht,
keine sich um armen Bankert schiert,
johlen mit, als man ihn massakriert,
der zu früh empfängt des Todes Lohn.
Fengos Antlitz aber triumphiert:
sicherer erscheint ihm nun die Kron,
die er zuhält Harald Blauzahn, seinem Sohn.
*
Durch die Dünen jetzt Raïssa geht
bis nach vorne an die Waterkant,
dort im Winde sie vergebens fleht,
ihre Blicke suchen Angelland,
doch nur Küstenstreif und Wasser fand
sie vor Mandelaugen windverweht.
Um das Haar gewunden, flattert Band
salzblau, und da sie schon lange steht,
setzt sie sich ins Mehl der Mühle von Hamlet,
sinnt dem Sohne nach, den sie verlor,
den der Tod des andern Knaben schützt,
klagend trifft Rotschenkelschrei ihr Ohr,
sich zu sonnen sie die Stunde nützt,
und das Hemd, das eben noch geblitzt,
legt sie sorgsam auf das Oberkleid.
Während Strandläufer vorüberflitzt,
hat das Odinsaug an ihr viel Freud,
da sie, ihm den Leib zu zeigen, sich nicht scheut.
Schöner noch ist er, seit Hori sog
an den Brüsten, deren Warzen hart,
braun und kraftvoll, und die Hüfte bog
sich so weiblich vorher nicht und zart.
O, wie war sie anmutig, apart,
wie gespannt der Oberarme Kraft,
und des Nabels Grub so straffer Art,
dass ich auf der Stelle mich vergafft
hätt in dieses Weibsbild schön und heldenhaft.
Ihr Bewusstsein aber, eingelullt,
müde auch und voller Sehnsuchtsgram,
schlummert ein im schlürfenden Tumult
einer Brandung ewig wundersam.
Plötzlich ist es ihr, als ob wer kam
kühler Schatten fiel auf ihren Leib,
deckte mit den Händen sich voll Scham,
fühlte hilflos sich, ein schwaches Weib,
obgleich sie doch stark und biegsam wie die Eib.
Schnell zog sie die Kleider wieder an,
und dabei entdeckte sie die Spur.
Dem Format nach war sie von nem Mann,
Raïssa jedoch war in Aufruhr:
Eigentlich wars ritterlich ja nur,
dass er nicht gestört hatt ihren Schlaf,
nicht behandelt sie wie eine Hur,
sondern seitwärts war gegangen brav
wie ein nichts als Futtergras suchendes Schaf.
„Doch ich war ihm auch nicht schön genug!“
dachte sie mit leichter Bitterkeit,
und ihm auszuweichen schien ihr klug,
denn dieser Gedanke schuf ihr Leid.
Doch da hörte sie von Zeit zu Zeit
durch den Wind verzerrten Harfenklang,
er drang aus nem Dünental nicht weit,
und als sie nun auch noch hört’ Gesang,
sanft und schmeichelnd, Träne lief herab die Wang.
Sie erklomm den Abhang hoher Dün,
sah hinab, wo in der Sonne sass
eine Mannsgestalt nicht schön und kühn,
sondern von gewaltigem Ausmass.
Dick war er wie einer, der viel ass,
seine Finger glichen Würsten fett,
und er sang mit kellertiefem Bass
gleichsam mit dem Donnrer um die Wett
von dem Helden, der nicht sterben wollt im Bett,
weshalb er bestand jede Gefahr,
keiner Falle, keinem Mörder wich,
jeder Furcht und jedes Zauderns bar,
bis er eines Nachts zum Schlafen sich
hat ins Bett gelegt, wo er verblich,
weil er war erstickt an einer Daun,
was für ein gerissner Schicksalsschlich!
Raïssa, der schönsten aller Fraun,
fahlte ab die Haut, die sonst war rötlichbraun.
„Grüsse dich, du Frau aus Tatarstan!“
rief er raunzend aus dem Kugelbauch,
„deine Schönheit hats mir angetan,
deine kluge Schläfe aber auch,
die umweht Gesanges Schöpferhauch.
Ich bin Snaebjörn, ein bescheidner Skald,
unter fettem Weisskohl nur der Lauch,
bring dir Grüsse von nem Manne kalt,
der zurückkehrt nimmerdar und gibt dir Halt!“
Da kam Raïssa sogleich zu ihm,
küsste ihm verehrungsvoll die Hand,
wie ‘s in Skandinavien legitim,
wo der Skalde gilt als gottgesandt,
kniete hin sich in den Dünensand:
„Also ist er tot, mein Herzgemahl?
Sprich von ihm, bevor ich den Verstand…“
Und sie weinte auf in krasser Qual,
Leben, Liebe, Hoffen – alles ward ihr schal.
Ists denn nicht genug, dass man den Sohn –
schoss es ihr durch den gequälten Kopf,
der auf so viel Leid ihr häuft zum Hohn
wüsten Schmerzes trommelndes Geklopf.
Und das Haupt, geschmückt mit schwarzem Zopf,
sinkt, sie selber sinkt in Arme weich,
und vernimmt bewusstlos fast: „Ein Topf,
voll mit Kohl, an Hammelfleisch recht reich,
wäre jetzt das Rechte, und nicht bald – nein gleich!“
Wie der Hunger Snaebjörns, als sie sank,
war der Korken, der herauf sie zog,
wie sie ihn bewirtet, wie sein Dank,
wie sie spürte, dass er sie belog,
übergeh ich – der Geschichte Sog
mich zu Frau Gertrud hinüberreisst,
die der Schwalbe gleich zu Raïssa flog,
als sie hörte von dem Skalden feist,
der aus fernem England sei herbeigereist.
Zwar traf sie die Nachricht wie ein Hieb,
doch sie sah, Raïssa, schaffend froh,
trug das Ende ihrer grossen Lieb,
worauf sie beschloss, es ebenso
anzustellen, zürnte lichterloh,
als sie Fengos böses Wort vernahm,
„Trau’rn um Hamlet soll man anderswo!“
weshalb sie, als Mutter unbeugsam,
Marschalk Onyx im Gestüt besuchen kam.
„Tot ist Dänmarks unglücklichster Prinz,“
hub sie an, abwehrend sein Gekos,
„aufgewachsen hier in der Provinz,
doch bestimmt für allerhöchstes Los.
Ihn nahm auf der fernen Insel Schoss,
die nach unsern Vettern heisst England;
auf sein Grab pflanzt niemand eine Ros,
niemand ihn betrauert – welche Schand,
dass auch hier sein Tod keinerlei Echo fand.“
„Ich begreif, dass dich das kränken muss,“
sprach darauf der blaurote Unhold,
wollte trösten sie mit einem Kuss,
doch sie sagt, dass er sich trollen sollt,
wenn er anders ihr nicht helfen wollt.
Woraufhin einen Gedenkumtrunk
vorschlug der gerissne Lügenbold,
durchzuführen ohne jeden Prunk
in der Halle hoheitsvoller Dämmerung.
Doch bedurfte es des Schwurs bei Hel,
dass er hierfür Fengo klopfe weich
und den Raum zu rüsten gäb Befehl,
eh sie brechen liess des Anstands Deich.
Tags darauf marschierte Onyx gleich
hin zu Fengo und ermahnte ihn,
dass es jetzt wär äusserst segensreich,
Harald vorzustelln im Hermelin,
denn er rücke auf zum höchsten Paladin.
„Ohne Anlass wirds zum Ärgernis!“
sagte Onyx, zwirbelnd sich das Haar,
und zerquälte sich so lange, bis
Fengo selber, was die Lösung war,
vorschlug und erkannte wunderbar,
dass ein Umtrunk auf toten Hamlet
sich als Anlass böte trefflich dar,
weshalb er erliess strenges Dekret,
kühlzustellen in den Kellern neun Fass Met.
Canto 8
Grosse Freud ich an Tekmessa hab,
seit ich ihr gewidmet ein Gedicht,
weil sie mir drauf zu erkennen gab,
dass es ihr missfallen habe nicht.
Ob es schon von einem, der Gericht
hält über sich selbst, verzweifelt, krank,
gibt in Versen ungelenk Bericht,
schrieb sie heute einen Brief mir frank,
dass sie sehr bewegt sei und mir wisse Dank.
„Meinen tiefsten Kummer hat berührt,
was du schriebst, du lieber Cimber-Graf,
fühlte mich in andre Welt entführt
auf Gesanges Flügeln vom Seraph,
sank darauf sogleich in festen Schlaf,
wie er mich, seit Ajax von mir schied,
nimmermehr erquickte und betraf,
grad als sei Medikament dein Lied,
das belebend mich durchdrang von Glied zu Glied.“
Als ichs las, sass ich auf Brunnens Rand,
wandte mich – sah in die tiefe Sapp,
hätte fast mich selber nicht erkannt,
fernher blickend wie aus einem Grab –
doch dann spie ich einfach frech hinab,
selber mir ins dumme Angesicht,
und der Welle ringelndes Schwippschwapp
hat bewahrt mich davor, mein Gedicht
anzusehn als was von grösserem Gewicht.
„Hast du, alter Freund, nicht einen Wunsch,
den ich dir zum Dank erfüllen kann?
Willst du trinken mit mir Hollerpunsch,
disputieren, lesen – sag mir, wann!“
Eine Träne aus dem Aug mir rann,
weil ich wusste, dass sich unser Pakt
nicht erstreckt darauf, dass ich ein Mann,
der das Weibliche nicht liebt abstrakt,
sondern strotzend sinnlich, weiss und nackt.
Doch ich weiss, dass in der Hansestadt,
deren Turmseptett ragt fern und blau,
Frau Tekmessa Doppelgängrin hat,
die, in Lust und Leide gerne Frau,
mit der Lieb es nimmt nicht so genau.
Such ich wohl in ihren Armen Trost,
trink der Wollust salz’gen Blütentau?
Gleicher Hautduft mich wie ihrer kost,
wenn ich mit ihr auskämpf griechisch-röm’schen Tjost.
Dies erwägend, sitz ich unsichtbar
über ziegelroter Cimber-Stadt,
hör das Schrein der Klosterrinderschar,
die hoch in den Fels steigt nimmersatt.
Hier nun ich mir auszuruhn gestatt,
nenne Heimat den durchnässten Grund,
wo die Menschen sprechen herzhaft Platt,
breiten Singsang formt der schmale Mund,
doch Tekmessas Lippenpaar ist voll und rund,
wie es warn die Lippen von Gertrud,
die mit Raïssa den Saal geziert,
aufgehängt des Netzes schwarze Flut,
wie sie Hamlet hatte instruiert,
ehe er nach England ward entführt,
hängten auch die Haken an den Schlot,
die er nannte „Pfeile“ ungeniert,
„um zu rächen meines Vaters Tod“ –
armen, blöden Hamlets Totenbrand nun loht!
An dem Abend für das Totenmahl,
als im Osten sich erhob der Mond,
füllte langsam summend sich der Saal,
denn das Kommen, hiess es allseits, lohnt.
In der Mitte aber düster thront
Fengo an der Seite von Edvig:
Er mit uralt bronznem Reif bekront,
sie in einem Trauerkleid so schniek,
dass es alles Dagewesne überstieg,
denn es war so elegant-lasziv,
wie kein Jüt es hatte je gesehn,
ausgeschnitten vorn und hinten tief,
schwarze Fetzchen sah man flattern, wehn,
wenn Edvig geruhte aufzustehn,
zu begrüssen einen Recken, der
zu ihr trat, zu beugen sich, zu drehn,
dass es jedem Manne ward recht schwer,
abzuwenden sich von der Versuchung hehr.
Neben ihnen lässig lehnt’ Harald,
angetan mit dem geschwänzten Kleid,
seiner harrt in Hammaburg Anwalt
einer hier verschmähten Christlichkeit.
Ansgar schickt’ ihm rüstiges Geleit,
dass er komm und nehm die heil’ge Tauf.
dazu ist der junge Mann bereit,
denn das Kreuz, es gleicht des Schwertes Knauf
und verheisst ihm Landgewinn und Siegeslauf.
Es erschallt aus Helsingör die Kund‘,
Reriks Zustand, schlimmer werde er,
wund sei er am ganzen Leib, sein Mund
nehme auch gewohnte Milch nicht mehr,
waschen müsse mit verseiftem Teer
man die armsel’ge Hinfälligkeit,
mancher Recke hält gesenkt den Speer,
zu erlösen ihn von seinem Leid,
denn ein wahrer Freund muss dazu sein bereit.
Grollend sass im dunklen Eck Gertrud,
Raïssa sehr ernst an ihrer Seit,
doch erfüllt von Spannung, wildem Mut,
angetan mit schwarzem Witwenkleid.
Jeder wusste, dass um Hamlet Leid
sie als Mutter trug von seinem Sohn,
und es fragte sich so manche Maid,
wie sie hier, wo er erlag den Roh’n,
mochte weilen, nicht empfand das Mahl als Hohn.
Aus der Küche kam dann Fleisch vom Schwein,
fett und saftig dampfend in der Krust,
dazu reicht’ man dicken Honigwein,
um zu wecken Freud‘ und Sinnenlust.
Dann ertönte eine Stimm robust
und dazu der Harfe Kling und Klang.
Snaebjörn wars. Er hub aus voller Brust
an mit jener Art von Skaldensang,
der die ganze alte Wikingzeit durchdrang:
„Auf den grünen Rossen, schaumbemähnt,
rollte hin das eschne Schiffsgeviert,
an den Mast ein Jüngling hingelehnt,
wie ihn schöner keine Frau gebiert.
Wirkte er nicht klug, fast wie studiert?
Aus den Augen leuchtete das Glück,
und obgleich kein Schwert die Hand ihm ziert,
war er heldenhaft und ohne Tück,
frei und herrscherlich meergrauer Augen Blick.“
„Das war Hamlet, wie er leibt und lebt!
Sing uns mehr von ihm und wo er blieb!“
riefen viele, dass die Hall erbebt’
und dem Koch entfiel das Saucensieb.
„Manchen Tag das Schiff gen Westen trieb,“
Snaebjörn sang, sein Mund vom Fette troff,
„über manchen Sturm es Sieger blieb –
schon die Überfahrt böte g’nug Stoff,
denn ein Wunder war es, dass es nicht absoff!
Wer hat ausgesucht das alte Wrack,
das des Prinzen ganz unwürdig war?
Grad aufs Ufer noch lief die Karack
und fiel auseinander wunderbar.
Egbert aber ward des kaum gewahr,
als er Hamlet lud auf seine Pfalz,
ihm bot Brot und Fleisch und Mettrunk dar
mit geziertem Komplimentenschmalz –
wohl bei jedem Freierb’such auf Erd erschallts.
Doch die Königin schürzt’ ihr Gewand,
setzte sich verhüllten Haupts zu Tisch,
als sie was zwischen den Zähnen fand,
eine Faser Fleischs, Gräte vom Fisch,
stocherte sie mit nem Holzspan frisch
sich im Munde ausgiebig herum,
setzte Hamlet vor dann ein Gemisch,
das er mit verzweifeltem Gebrumm
trank, als wärs ein ekles Sammelsurium.
Egbert selbst legte das Fleisch ihm vor,
woran er mehr roch, als dass ers ass,
Was man ihm auch anbot, ohn Humor
tat er so, als sei es Schlangenfrass.
King und Queen er mit den Augen mass –
und verzehrte keinen Bissen mehr.
Daran hatte Egbert wenig Spass,
selber trank er viele Humpen leer
und nahm in Empfang die dicht berunten Speer’.
Englands König ist des Lesens kund,
braucht den Priester nicht, der ihm enthüllt,
was er spricht, der Rune stummer Mund.
Das Gelesne hat ihn aufgewühlt,
denn er weinte fast, hat dann gebrüllt:
‚O mein Freund, dem einst ich Liebe schwur,
was du mir befiehlst, es sei erfüllt!
O wie grässlich, wenn des Freunds Natur
sich erweist als halt- und sittenlose Hur!’
Alsobald mass er mit kühlem Blick,
Eik’ und Olaf, das Begleitgespann,
Eike ass gerad das dritte Stück
von dem Schweine, das geschlachtet man,
doch kein Fett ihm von den Lippen rann,
da halbkalt es aus der Küche kam.
Olaf aber sass nur da und sann
drüber nach, ob er vom Sauerrahm
oder von der Minzsauc sich nen Löffel nahm.
Egbert führt’ sie nach dem Mahl beiseit
und erbat von ihnen sich Bericht,
warum Hamlet ihm antat das Leid,
von dem Mahle wollte essen nicht.
Allzu gern machten sie sich zur Pflicht,
was der König ihnen anbefahl,
doch nicht glücklich war Eikes Gesicht,
als er tags darauf sich zu ihm stahl,
und ihm folgte Olaf in den Waffensaal.
‚Was wir dir zu melden haben, Herr,
ist für dich so kränkend, dass ich es
lieber immerdar im Herz versperr,
eh heraus ich fordre dumm und kess
deines sehr gerechten Zorns Exzess.’
So begann in grosser Angst Olaf,
der zum ersten Mal besucht’ die Mess,
wo des Priesters Wort ihn heftig traf,
dass den Seinen Gott es gäbe auch im Schlaf.
Eike nickte und bestätigt dies,
denn er war nicht weniger verstört,
doch er auf nen Handel sich einliess:
Wenn der König ohne Rückhalt schwört,
dass, was immer er von ihnen hört,
er sie dafür nicht bestrafen wollt,
auch Edvig ihn dazu nicht betört,
alles er von ihm erfahren sollt,
was gesagt Hamlet, der Wahnsinns-Wahrheitsbold.
Nämlich dies: Das Brot habe geschmeckt,
als wär Teig mit Menschenblut gewürzt,
doch der Met sei mit Metall verdreckt,
als sei in das Fass ein Schwert gestürzt.
Fleischs Geschmack hab Leichendunst verkürzt,
als sei ausgegraben das Gericht…“
Hier nun Fengo seine Lippen schürzt,
worauf er in starkem Strahl erbricht,
so dass ekler Brei ihm nun zu Füssen liegt.
Snaebjörn unterbricht sein Rezital,
Fengos Stirne hält besorgt Edvig,
und ein Raunen geht durch hohen Saal:
woran es, dass jener kotzte, lieg.
War es wohl aus weiter Fern ein Sieg
jenes Hamlet, dessen Spur verlor
in Britannien sich, als stünd der Krieg,
den er seines Vaters Mörder schwor,
ihm und allen, die ihn stützten, nicht bevor?
Onyx aber hält den Blickkontakt
zu Edvig, und die schaut Fengo an:
„Er soll singen! Das ist sein Kontrakt!“
hört man murmeln den geschwächten Mann.
Ängstlich fuhr er fort: „Sag, Snaebjörn, wann
wars, dass Hamlet an der Daun erstickt’?“
„Warte nur“, erwidert Snaebjörn, „dann
wirst du schon zu rechter Zeit erquickt,
vorzugreifen im Gesange sich nicht schickt!“
Als Edvig ermunternd ihm zuwinkt
stärkt er sich mit einem Humpenzug,
stimmt sein Saitenwerk und zupft und singt:
„Wahrheit singe ich, nicht Lug und Trug.
Wahrheit aber ists, dass Egbert frug:
‚Was hat euer Herr noch sonst gesagt,
der sich offenbar hält für sehr klug?’
Worauf Olaf ihm zu sagen wagt,
was wohl keinem auf der Welt hätte behagt:
Dass die Königin trage zur Schau
das Gebaren einer simplen Magd
und nicht etwa einer edlen Frau,
und dem König, Odin seis geklagt,
sei der Blick des freien Manns versagt,
Augen eines Sklaven habe er…
Ob das Hamlet wirklich sagte, fragt
Eik’ und Olaf da der Angeln Herr,
dessen Antlitz völlig ausdruckslos ist, leer.
Sie bestätigen ‘s und nicken stumm,
Egbert dankt, sie gehen zitternd ab.
Doch noch in derselben Nacht, wie dumm,
ward ihr Bett ihr allzu frühes Grab,
so befahl ‘s Egbert der Runenstab.“
„Niemals, niemals!“ schrie, den Mund voll Met,
Fengo laut, „ich dies befohlen hab,
töten sollte er nicht sie! Hamlet…“
Küssend hindert Edvig, dass er weiterred’t.
Wieder brandet Raunen auf im Saal,
doch gebietrisch hob der Skald die Hand:
„Denket euch des Britenkönigs Qual,
da er so verachtet sich nun fand!
Doch er hoffte, dass in Hamlets Schand
dessen Worte würden wenden sich,
weshalb er nach Morary gesandt,
seinem Schaffner, tüchtig und ehrlich,
und begonnen hat: ‚Ich frage dringlich dich:
Was war mit dem Brot, das wir gedeckt?
warum schmeckte es nach Blut so fad?
Warum hat metallisch Met geschmeckt?
Und das Fleisch, das ich zu reichen bat,
sag, warums nach Leich’ gerochen hat?’
Morary, er schüttelt nur den Kopf,
weiss auf diese Fragen keinen Rat,
murmelt: ‚Wer schaut schon in jeden Topf?’
sagt Nachforschung zu, der arme alte Tropf.
Macht ausfindig jenen Bauersmann,
der geliefert das Getreid zum Brot,
dann den Imker, der den Honig g’wann,
daraus man gebraut den Met braunrot.
Schliesslich findet er mit grosser Not
auch heraus des Fleisches Lieferant,
das Egbert dem dän’schen Gast anbot,
ders zu seinem Schimpf nicht lecker fand
sondern ‘s in die Küche hat zurückgesandt.
Schaffner gibt Bericht dann Zug um Zug:
Auf der Walstatt ’s Korn gediehen sei,
wo die Kelten Egberts Vater schlug,
selbst sein Leben einbüssend dabei.
Doch das Bienenvolk der Imkerei,
die des Metes Grundstoff hat beschert,
hab an einem Quell getrunken frei,
den man eigens habe ausgeleert:
auf dem Grund fand Rüstung sich samt rostgem Schwert!
Und das Schwein, das Hamlet ungern roch,
habe vorher gütlich sich getan
an der Räuber eklem Schweinetrog,
den sie fülln mit Leichenteilen an:
Den Geruch vertreibt kein Thymian.“
Wieder hier sich Fengo schwer erbrach,
und so mancher rief: „Das ist kein Wahn!
Den, ders Schwein, das wir gegessen, stach,
soll man eiligst fragen ebenfalls danach!“
Das nun zu verhindern, winkt Edvig
Snaebjörn, dass er fortfahr im Gesang,
und er singt: „Gestählt in manchem Krieg,
machte Egbert nicht so bald was bang.
Doch er zittert vor dem Donnerklang
dieser Stimme, die die Wahrheit spricht:
Stellte sie nicht auch in Frag den Rang
seiner Gattin, sie sei edel nicht,
und hielt über seine Wenigkeit Gericht?
Darum schickt er nach der Königin,
die die Röcke schürzend, sich ihm naht,
und auf sein Befragen ausbricht in
bittre Tränen: Sie sei in der Tat
nur ein Mädchen aus dem Prol’tariat,
das durch Täuschung sich der Herkunft Schein
gab von schottischem Aristokrat,
doch dem Blicke Hamlets sei kein Sein
dieser Welt verborgen – und sie schrie vor Pein.
Egbert gleich sich abgewendet hat
von Olivias feuerrotem Haar;
denn sie schien ihm nicht mehr adäquat,
da er sich ja zählt zur Adelsschar.
Offen jetzt nur noch die Frage war:
Wie kam auf den Sklavenblick Hamlet?
Er besuchte die, die ihn gebar,
doch sie rief beteuernd, immer hätt
nur mit seinem Vater sie geteilt das Bett.
Da hat er ihr stolzes Herz berannt
und mit Drohungen es tief gebeugt,
bis sie schliesslich zögerlich bekannt,
dass Morary habe ihn gezeugt –
‚doch ich habe selber dich gesäugt!’
‚So bin ich,’ schrie er, ‚nicht legitim!’
Nach Olivia hat er ausgeäugt,
denn nach dieser Aufklärung schien ihm,
dass ihr zu verzeihen sich nunmehr geziem.
Hat das Knie vor ihr alsbald gebeugt,
und bekannt, was Ute ihm gesagt:
dass auch ihn habe Prolet erzeugt,
weshalb er sie nicht mehr überragt.
‚Du, ein Sklavensohn, hast es gewagt,
niedrer Herkunft dummstolz mich zu zeihn!
O, ich gehe jetzt! Sei unverzagt!
Ich will länger nicht im Weg dir sein!’
sagte sie, erweckend bittern Abschieds Schein.
Erst mit manchem kostbarn Privileg:
Alimenten, Kleidern, Schmuck, Allod,
ebnet’ der Versöhnung er den Weg,
dass sie ihm huldvoll Verzeihung bot.
Hamlet aber ehrten sie wie Gott,
baten stets ergeben ihn um Rat,
um jedoch zu ernten keinen Spott,
niemand ihn zu nehmen Anna bat –
denn die Herkunft war nicht vornehm, in der Tat.
Immer, wenn sie Hamlet sah, ward rot
ihrer Wange britisch-blasse Haut,
ihre Seele war nicht mehr im Lot,
sie ihn anzuschauen sich nicht traut.
Sein Interesse scheint ihr abgeflaut,
Sehnsucht ihn erfüllt nach Jütlands Gau,
wenn er in aufgehnde Sonne schaut,
denkt er sicherlich an eine Frau,
die zurück er liess in goldner Ferne Blau.
Auf den grünen Rossen, schaumbemähnt,
rollte hin das eschne Schiffsgeviert,
an den Mast ein Jüngling hingelehnt,
wie ihn schöner keine Frau gebiert.
Wirkte er nicht klug, fast wie studiert?
Aus den Augen leuchtete das Glück,
und obgleich kein Schwert die Hand ihm ziert,
war er heldenhaft und ohne Tück,
frei und herrscherlich meergrauer Augen Blick.“
Canto 9
So weit war Snaebjörns Gesang gediehn,
als man aus der Küche Lärm vernahm,
Männer sah man einen Körper ziehn,
‘s war der Koch, der nicht mehr zu sich kam.
„Hört die Botschaft, ekelhaft, infam!“
riefen sie, die führt’ Onyx herein:
„Ja, wir haben ihn geschlagen lahm,
denn er hat gebraten uns das Schwein,
das sich mästete an Mstivojs Gebein!“
So ward Hamlets Racheakt publik
und auch, dass er Mstivoj gekocht,
eh er seine Leiche ins Gequiek
gier’ger Schweine hat hinabgelocht.
Onyx aufschrie: „Ich hab ihn gemocht,
o, ich liebte ihn wie einen Sohn.
Gänzlich hatte er mich unterjocht,
doch sein Tun spricht allem Anstand Hohn.
Drum verratet mir: Verdient Hamlet den Thron?“
Und ein Nein! wie heulnder Herbstorkan
schwarz vernetzte Halle da durchscholl,
„krönen wollen wir Vernunft, nicht Wahn,
Harald unser König werden soll!“
O, wie ihm, Blauzahn, der Kamm da schwoll,
und sogleich ers angeraten fand,
abzugehn, zu fahrn gen Ochsenzoll,
um zu treten in den Christenstand,
der in ganz Europa jetzt nahm überhand.
Durch den Keller und die Küche schlich
er zu seinem Glück in finstre Nacht.
Er war eitel zwar und widerlich,
doch auch schlau, für diese Welt gemacht.
Beim Davonreiten hat er gelacht,
als er einen Narren sah zerlumpt,
der in seiner Fetzen Elendspracht
und in schwarzen Mantel war gemummt –
hätt Harald gewusst, wers war, er wär verstummt.
Fengo lallte in betrunknem Zorn,
warum Onyx Hamlet auf den Schild
hier erhob, als habe ihn der Dorn
einer Daune nicht schon längst gekillt!
Wütete und fauchte gar so wild,
dass schon ihren ganzen Reiz Edvig
musst aufbieten, bis die Wut gestillt.
Metverbrauch noch weiter kräftig stieg,
Snaebjörn aber trank nicht einen Tropfen, schwieg,
ging dann langsam schlendernd an die Tür,
schob beiseite schweren Eisenbolz,
dass herabtropfte der tran’ge Schmier,
lange Bahnen ziehend auf dem Holz.
Nun, o Fengo, zähme deinen Stolz!
Denn der Mann, den du am meisten hasst,
den fast Esse deiner Bosheit schmolz,
er steht draussen, hält die Stäb umfasst,
die mit Mordbefehl du einst beschriftet hast –
stösst die Flügel krachend auf, so dass
knarrend sie nach innen aufgehn nun,
und sieht Fengo, wie er auf nem Fass
an Edvig grad sich will gütlich tun,
was ihm schwerfällt, denn er ist sehr dun.
Hamlet nun zu Riesengrösse wächst,
schlägt die Arme, ein verwirrtes Huhn,
schreit „Kikeriki!“, spricht wirren Text,
Saal verstummt, starrt an das Wesen wie behext.
Denn, befreit von seinem Mantel, ist
er gekleidet wie ein Gockelhahn,
der gesprungen oben auf den Mist,
nun sich spreizend laut die Zeit sagt an.
Und ist Weib dies Wesen oder Mann,
das die Hüfte so gelenkig stellt
und mit seiner weissen Schenkel Bann
und der Stimme, die so lockend gellt,
einer gleicht, die ihre Gunst verkauft für Geld?
Diese Stirne weiss, sie kennt kein Leid,
diese ros’ge Wange keinen Bart,
und den Mund, der lächelt, wenn er schreit,
kann man nennen sowohl zart wie hart –
Ironie sich in ihm offenbart,
die die Schärfe eines Messers zeigt,
und geschmeidig wie ein Leopard
ins Getümmel er hinab nun steigt,
fängt an nachzuschenken, wobei er sich neigt
höflich oder spöttisch? und schon bald
steht vor Fengo er, der sich vor Schreck
an die runde Schulter Edvigs krallt,
Schrammen kratzend in den weissen Speck,
ächzend tonlos: „Hebe dich hinweg,
grässliches, unwirkliches Phantom!
Hamlet, er ist tot! Er ist ein Dreck!“
Aus dem Mund quoll ihm der Flüche Strom,
übel untermischt mit Alkohols Arom.
Aber Hamlet lächelt nur – da fragt
Fengo ihn nach Eike und Olaf,
die, das weiss man, Snaebjörn hats gesagt,
bittrer Tod im Angelländ’schen traf.
Hamlet aber hebt die Stäbe brav,
„Eike, Olaf,“ ruft er, „kommt, ihr sollt
endlich aufwachen aus eurem Schlaf!“
wirft sie zu dem feisten Trunkenbold,
der zu Boden geht, denn sie beschwert das Gold,
das als Wergeld Egbert ihm entbot,
weil der Mord Hamlet scheinbar empört,
sühnend so den unrechtmäss’gen Tod,
wie ‘s nach altem Brauche sich gehört.
Fengo aber schreit und schluchzt und röhrt,
ruft nach seinem treuen Dienerpaar,
Hamlet fühlt sich dadurch nicht gestört,
spielt den Mundschenk, aller Tücke bar,
angefüllt mit Rachsucht bis ins letzte Haar.
Raïssa durchs Menschenknäul sich zwängt,
das den Prinzen, wo er geht, umgibt,
wie das Bienenvolk sich wimmelnd drängt
um die Weisel, die es angstvoll liebt.
Hamlet achtlos sie beiseite schiebt,
die vergebens sich ein Wort erbat –
Raïssa und Gertrud, ihr verbliebt
nicht am Orte fragwürdigster Tat –
kamt ihr selber drauf? Gab Snaebjörn euch den Rat?
Ungeheuer schien euch dieser Mann,
zogt zurück euch in das weisse Mehl,
das aus Hamlets Mühle einstmals rann,
Gott beschütze seine arme Seel!
Wer von uns ist denn wohl ohne Fehl,
dass den ersten Stein er werfen mag –
o, ich mache daraus keinen Hehl,
frei heraus ichs diesen Ortes sag‘:
Oftmals ich schon über Racheplänen lag!
So, als mich Tekmessa hat verlacht,
da ich ihr, ich war noch jung und dumm,
einen Heiratsantrag hab gemacht –
und ich dacht‘, vor Kummer wütend stumm:
den Rivalen bring‘ bei Gott ich um!
Hab‘ ihn abgepasst mit Hassgestöhn,
doch der Arm, bereits zum Steinwurf krumm,
sank herab mir, denn er war so schön –
Slawenfürstenenkel aus erhabnem Plön!
Heute nun, da sie verwitwet ist,
wacht die alte Liebe wieder auf,
welche ungeheure Schicksalslist
führt vom Regen so mich in die Trauf‘!
Überschritten hat mein Lebenslauf
die Zweidrittelgrenz, ich steh beschämt
dass ich noch mit solchen Geistern rauf‘,
dass mich zartes Liebessehnen lähmt,
drüber sich ein andres Weib nicht wenig grämt.
Hamlet aber durch die Halle schritt,
jetzt bewehrt mit einem scharfen Schwert,
womit er sich in den Finger schnitt,
um zu zeigen, was die Schärfe wert.
Fengo dieser Anblick sehr beschwert,
weshalb er Schmied Wigald gibt Bescheid
und von ihm heimlichen Dienst begehrt:
„Treibe einen Nagel durch die Schneid
und befest’ge so das Schwert in seiner Scheid!“
Wigald deshalb hinter Hamlet schleicht,
ihm geschickt auf flinken Fersen bleibt,
und als dieser Met dem Onyx reicht,
er den Nagel durch die Scheide treibt.
Fengo aber fühlt sich wie entleibt,
stiehlt davon sich in betrunkner Scheu
in die Kammer, wo er unbeweibt
unterm Schwert, das vormals Mstivoj
hat durchbohrt, hintaumelt auf des Lagers Streu.
Edvig aber wittert ihre Chance –
endlich ist sie feisten Schwächling quitt!
und entscheidet sich fast wie in Trance
für Revolte und für diesen Schritt:
„Fengo,“ ruft sie, „geb ich einen Tritt!
denn er richtet Dänemark zugrund,
eine neue Zeit jedoch bricht mit
Onyx an, dem ich den Ehebund
antrag hiermit und von heisser Liebe wund!“
„Onyx, Onyx soll Statthalter sein!“
hebt sich nun das trunkene Gebrüll,
Onyx aber, auch voll Honigwein,
grade auf den Thron sich setzen will,
da gellt auf ein andres Schreien schrill:
Denn das Netz, das schwarze, fällt herab
umhüllt alle wie ein grober Tüll,
aus dem Schrein wird zappelndes Gejapp,
alle ahnen nun: die Hall ist unser Grab!
Hamlet aber und mit ihm Rawil –
wie die Affen turnen durchs Geäst –
lachend springen sie, als wärs ein Spiel,
zurrn das Netz mit krummen Haken fest,
bis alle gefesselt – wies Hephäst
einst mit Mars und Venus hat gemacht,
überraschend sie im Liebesnest,
fesselnd ihrer Körper Marmorpracht,
zeigend sie den Göttern dann, die laut gelacht.
Mars und Venus aber kamen frei,
nicht jedoch der Jüten Höflingsschar,
immer greller wird das Angstgeschrei,
denn der Rächer gnadenloses Paar
mit der Vorbereitung fertig war,
legte Feuer jetzt mit Fackelbrand
an den Holzbau, hölzerns Mobiliar,
Rauch wallt’ auf, der keinen Ausweg fand –
wie, erstickend, sich die Menschenmasse wand!
Welch ein Wogen, Sichentleern und Schrein
fast ein Zirpen war es unterm Netz,
andre wieder jaulten Stein und Bein –
bei der Vorstellung ich mich entsetz.
Denkt der armen Mädchen des Balletts,
wie die Hitze sie zu Tode briet –
und selbst Edvig, diese feile Metz,
und Onyx, ihr neuster Favorit –
allen ihnen Unrecht hier geschieht!
Wigald sich als einziger befreit,
da er eine Zange bei sich führt,
und entschlüpfen sieht ihn bittrer Neid
jenem Menschennetz, das Ängste schürt.
Als ein anderer das hat verspürt
und ihm folgen wollte durch das Loch,
hat ers schnell geschlossen und verschnürt,
die Verzweiflung schürend noch und noch
(dieser andre, heissts, war der erwachte Koch).
Onyx aber hört man heiser schrein:
„Wie verdien ich, Hamlet, dieses End‘?
Lass mich frei! Ich will dein Sklave sein
und dir dienen wild und vehement!“
O, manch einer hat da laut geflennt,
hoffend auf ein menschliches Gefühl,
Hamlet aber nichts als Rache kennt,
er missachtet schrilles Angstgewühl –
aufging seines Hasses grausames Kalkül.
„Warum hab vergessen ich den Traum,
den Horwendel ahnungsvoll geträumt,
bin von meiner Machtgelüste Schaum
nun erledigt und hinweggeräumt?
Einmal falsch gehandelt, was versäumt,
alles, alles schon verloren ist –
o, vergebens sich mein Leben bäumt –
die Geschichte werf‘ dich auf den Mist,
wo du, Hamlet, hingehörst und Unrat frisst!“
Schon erstickend hat er so geflucht,
um sich schlagend, reissend am Geflecht,
Ausweg noch ein letztes Mal gesucht,
schreiend, dass sein Tod werde gerächt.
Doch die meisten andern, schwer bezecht,
starben schweigend, glitten unbewusst
jenen Weg hinab für Herr und Knecht,
den noch keiner, der ihn gehen musst,
ist zurückgekehrt zu früh’rer Lebenslust.
Wenden wir uns ab vom Ort des Grauns,
denn wir können doch nichts ändern dran,
wollen nicht verfalln der Lust des Schauns,
die sich am Entsetzen steigern kann.
Wohin hat Hamlet sich, unser Mann,
nun begeben? In der Kammer was
er bei Fengo, schlafendem Tyrann,
tauscht das Schwert aus, kitzelt seine Nas,
dass er aufwacht und will flüchten wie ein Has‘.
Doch der Weg ist von der Wand verstellt,
durch das Windaug wabert Feuerbrand.
„Wehr dich, Feigling!“ Hamlets Stimme gellt.
Schnell reisst Fengo ’s Schwert von heisser Wand.
Doch vergeblich müht sich seine Hand,
es zu zücken, es ist festgebannt
durch den Nagel, den er treiben hiess,
da hat er das Schreien auch erkannt
derer, die das Feuer singen liess,
und er wusste: Mein verdientes End ist dies!
Fiel aufs Stroh, von Met und Angst konfus,
wo ihn Hamlet voller Hass erschlug,
lauthals rufend: „Diesen Eisengruss
nimm für Ehebruch, Mord und Betrug!“
Dann jedoch war er zum Glück so klug,
dass er, durch das Windaug springend nackt,
sich gerettet vor der Funken Flug,
die entflammten nun auch diesen Trakt –
alles ward von greller Feuersbrunst gepackt.
Snaebjörn aber sieht dem geilen Brand
zu von einer Düne, gross und rein,
zupft die Saiten mit geübter Hand,
und singt in das Flammenknattern, Schrein
eine dröhnend-schöne Melodie hinein:
„Mensch, was bist du mehr als Haufen Dung?
Bald, schon bald wirst du vernichtet sein:
Mann-Weib, Arm-Reich, Schwarz-Weiss, Alt und Jung –
das ist die Musik der Menschendämmerung!“
Schon daheim sind Raïssa, Gertrud,
noch am Fenster sie umschlungen stehn,
sehn den Himmel, der so rot wie Blut,
sehn die Flammen zu den Wolken wehn,
und gemeinsam sie zu Odin flehn,
er mög Hamlet seine Tat verzeihn,
denn über das Werden und Vergehn
soll entscheiden doch ein Gott allein,
darin mische sich gemeiner Mensch nicht ein.
„Doch bewundern,“ sagt Raïssa, „muss
ich ihn auch für den gigant’schen Plan,
wie er ihn hielt fest unter Verschluss,
dass auch niemand nur Geringstes ahn!
O, mit welcher Kraft hat ers getan,
er, dem man die Mannheit hat geraubt,
hat getarnt mit Dummheit sich und Wahn,
alle, alle haben ihm geglaubt –
welch ein ungeheures, unergründlichs Haupt!“
„Was er tat, war grausam – doch ich geh
mit der Wahrheit lieber in das Grab.
Gebe Thor, dass ich ihn nie mehr seh –
denn es geht ihm jede Güte ab,
Ahnen auch, dass alles, was ich hab,
Gnade ist, gegeben uns von Gott,
und wer richtet, setzt sich selbst herab,
gibt sich preis Hohn und gesalznem Spott,
bringt sich selber aufs bluttriefende Schafott.“
So sprach Gertrud, seine Mutter, die
vieles sicherlich am besten wusst,
doch ich denke, wir verlassen sie,
lassen ihren Kummer in der Brust
sie bewegen, bis zu neuer Lust
sie erweckt der morgenholde Tag,
denn der Sonne Wärme, Glanz und Blust
brütet bald Wollust im Blumenhag
und bald Fäulnis aus in dumpfem Sarkophag.
Ich jedoch, hier sitzend auf dem Berg,
ahn voraus: Auch diese Burg aus Stein
geht den Weg, den alles Menschenwerk
bisher ging und wird zerfallen sein.
Krieg, so gross, dass alle andern klein,
wird verheeren unser ganzes Land,
Bücher, brennend, geben guten Schein,
meine Manuskripte: eitler Tand,
der im Abtritt seine Endverwendung fand.
Darauf komm ich durch ein Zeichen bös:
Als ich jüngst ging durch die kleine Stadt,
die toscan’scher Steinmetz ingeniös
mit Skulpturen ausgeschmücket hat,
fand ich ihre Oberfläch nicht glatt,
sondern ausgezehrt vom Regenfluss,
der den Alabaster nimmersatt
als ein Kalksalz in sich lösen muss:
das hat mir bereitet bitteren Verdruss.
Der Minerva edle Schläf zu sehn,
ausgehöhlt und hässlich deformiert,
Junos Standbein, es will kaum noch stehn,
ihre Brust jedwede Form verliert,
Venus’ Hüften: merkwürdig vertiert
wirken sie und wie mit Fell bedeckt,
alles ist mit Algen wie beschmiert
und mit Flechten grau und braun gefleckt –
Regen eines Gottes Richterspruch vollstreckt!
Alles wird davongeschwemmt, zerschmilzt,
bald ist alles nichts als nur noch Schlamm,
feucht, verrottend, faulend und verfilzt,
unfruchtbar und stinkend, trübe, klamm,
Flut des Grauens, sie bricht jeden Damm,
schwemmt hinweg, was Form und Hoffnung war,
auch den goldbesetzten Schildpattkamm,
womit jene strählte sich das Haar,
die der schaum’ge Same Uranos’ gebar.
Richt‘ ich meines tubus Objektiv
freudig nun erneut auf jene Bucht,
wo Tekmessa oft ins Wasser lief,
um zu baden sich in guter Zucht,
seh‘ ich heute, wie ihr Blick mich sucht,
und sie winkt mir voller Anmut zu.
Da hab ich als Sünder mich verflucht!
Doch sie lässt das Kleid in guter Ruh
sinken nieder auf die Florentiner Schuh.
Und der Knecht, der dort die Rosse führt
in des stagnum algenreiches Bad,
schleicht heran. Was hat ihn angerührt?
Ob er sie entblösst gesehen hat?
Schon ergreift er sie, die wehrlos, matt
seinem Angriff nur die schnelle Flucht
setzt entgegen in die nahe Stadt,
doch der Bursche, kräftig und verrucht –
wie ihn hasst meine empörte Eifersucht! –
hinter eine Hecke zerrt er sie –
doch ihr spriessen Blätter aus dem Haupt,
wie ihn auch zerreisse Energie,
ein Holunderbusch, dicht grün belaubt,
wird aus ihr, ob man es mir nun glaubt
oder nicht. Ein Gott hat sie beschützt,
Frechling seines Opfers jäh beraubt.
Weisse Dolde duftend sie bemützt,
bis im Herbst der Beere herber Saft entspritzt.
Canto 10
Wo sich stolz und palisadensteil
Hälsingör am salz’gen Sund erhebt,
in den Himmel starrt das scharfe Beil,
wo die Sturmmöw ihre Schlingen schwebt:
in der hochgebauten Halle lebt
er nicht mehr, des Schicksal überall
mit dem Schicksal Dänemarks verwebt,
Reriks Tod verkündet Lurenschall,
er gehört zum Heer der Helden von Walhall.
Als man ihn hat feierlich verbrannt,
wohnten wen’ge bei dem Zer’moniell;
und nach Jütland hat man abgesandt
zwei Berittene, gewandt und schnell.
Auf der Brandstätte jedoch: Gebell
ein’ger Hunde, die sich gütlich tun
an der Überreste Faulgeschwell,
darauf blaue Fliegenpanzer ruhn,
während ungemolken rings die Kühe muhn.
Das Entsetzen traf sie wie ein Stoss,
sitzen in den Stuben wie gebannt,
hocken da und starren ausdruckslos
vor die kümmerlich gekälkte Wand.
Niemand hat Verbrechen je gekannt,
so erbarmungslos und ohne Gnad,
viele Häuser sind jetzt unbemannt,
aufging eine grauenvolle Saat:
beinah jedes jemand zu beklagen hat.
Doch dann geht von Tür zu Tür ein Stab,
darauf Hamlet lädt zu freiem Thing,
wo er sich zu rechtfertigen hab,
um zu hören, ob er sein soll King.
Unterm Thorsbaum sitzen sie im Ring,
und aus ihrer Mitte wählen sie
ihn, der führen soll der Anklag Kling:
einem Wiking namens Horand lieh
ihr Mandat die Stimme der Demokratie.
Horand war, wo hoch die Welle dünt,
Fengos durchgesalzner Steuermann,
und Horwendel hat er treu gedient,
fragte nie warum? und wo? und wann?
Auch Hamlet den Mann gebrauchen kann,
der dem Feuer nur mit knapper Not
ist entronnen, weil ihn, Hand- und Spann-
dienst zu leisten traf des Herrn Gebot –
nur der Zufall rettete ihn vor dem Tod.
„Ungeheure Schandtat ist geschehn,“
griff er denn auch alsobald zum Wort,
„wie sie Dänemark noch nicht gesehn,
ja, die Welt erstarrt, ist wie verdorrt.
Tausendneunundachtzig traf der Tort,
als sich über sie das Netz gesenkt,
o welch feiger, welch gemeiner Mord!
Ja, ich bin der Meinung, dass gehenkt
werden muss, wer solchs Verbrechen sich ausdenkt!“
Nur der Eiche Wispern füllt’ den Platz,
alle neugierig auf Hamlet sahn,
der aufstand und sagt’ den einen Satz:
„Was ich tat, hab ich für euch getan!“
Und dann überwältigte der Wahn
ihn noch mal mit aller Energie:
Schlug die Flügel wie ein Gockelhahn,
krähte laut sein schrilles Kik’riki,
alle, die dort sassen, wie erschraken sie!
Horands Antwort troff von Ironie,
als er sprach: „Ja, meinen Bruder hast
du ermordet, vielen Dank – o wie
kann ich dirs vergelten? Wie verhasst
mir der Mensch ist, der vor nichts erblasst,
seine Rache austobt wie berauscht!
Ist denn Jütland rechtlich unverfasst?
Gibts hier keinen, der dem Kläger lauscht?
Hamlet hat Gerechtigkeit mit Hass vertauscht.“
Hamlet nickte darauf trauervoll,
so bestätigend, was Horand sagt,
Tränenstrom ihm aus den Augen quoll,
ohne dass mit Worten er geklagt.
Doch als man ihn drängend hat gefragt,
wie sich zu verantworten er denk,
hat er nicht zu schweigen mehr gewagt
und ist aufgestanden ungelenk,
schleifend hinter sich vernietet Wehrgehenk.
An die rostra, eines Schiffes Bug,
trat er wankend und geschwächt heran,
Dänmarks Schicksal auf den Schultern trug
der gebeugte, der entmannte Mann,
und er hub zu dieser Rede an:
„Des Verbrechens fürchterliches Bild
seht ihr jetzt; doch frag ich, was die sahn,
die mich anklagen mit Stimmen wild,
als ermordet ward Horwendel, Vater mild.
Habt ihr denn sein weises Regiment
schon so ganz vergessen undankbar?
Ihn, den man als klugen Dulder kennt,
den mit Fengo selber Schoss gebar?
Ihn, die stolze Lichtgestalt, den Aar,
hat herabgeholt vom Himmelszelt
Fengo, der nichts als ein Neider war,
nur um aus der jüt’schen Friedenswelt
eine Höll zu machen, wo der Helhund bellt.“
Darauf Horand einen Einwand macht:
„Niemand hier, der diesen bösen Tag,
der uns stürzte in des Unrechts Nacht,
jemals freiwillig vergessen mag.
Doch wir alle wissen, dass der Schlag,
der Horwendel füllte, ihm nicht galt.
Tisch uns nicht des Brudermordes Sag
wieder auf als eine Suppe kalt:
Unerkennbar war für Fengo die Gestalt,
die ihn angriff mit der Kling Gewalt,
als Frau Gertrud wechselte Verband.
Ebers Decke trug er umgeschnallt,
der ihn angriff, war ihm unbekannt,
und er hat sich gegen ihn gewandt,
denn zu leben war sein schlicht Begehr:
Hätte Fengo ihn nicht übermannt,
hätte ihn durchbohrt des Bruders Speer,
Fengos Töten war kein Mord, sondern Notwehr.“
„Ja, so hat er es dann dargestellt,
doch erwerben wir ganz andre Kund,
wenn wir uns umsehen in der Welt,
ob es Zeugen gibt der bösen Stund.
Odin liess mich machen guten Fund:
Astrid, meiner Mutter Dienerin,
ist bereit, zu öffnen ihren Mund,
aufzuklären allen Widersinn.
Hilf mir, Astrid! Bitte komm hierher. Beginn!“
Astrid, tief verschleiert und gebeugt,
ging zur rostra, von Hamlet gestützt,
wo mit schwacher Stimme sie bezeugt,
wie Horwendel sie fand aufgeschlitzt
mit Saufeder, von ihm selbst gespitzt:
„Hätte er getragen noch die Haut,
sie hätt sein müssen zumindst geritzt:
ich hab sie genau mir angeschaut:
sie war vorne unverletzt, blutunbetaut
und lag von dem Toten weg drei Schritt,
weshalb ich keinerlei Zweifel heg:
jener mörderische, lange Schnitt,
der Horwendel schickte auf den Steg,
der hinabführt in der Hel Geheg,
wurde ausgeführt bewusst, gewollt
an dem Bruder: Er war ihm im Weg,
weshalb er beschleunigt sterben sollt –
Fengo lockten Macht und Prachtentfaltung, Gold.
Und damit ich, was ich sag, beweis:
schaut sie an, die Eberschwarte jetzt:
In den Rücken stach man sie mit Fleiss,
doch am Bauche blieb sie unverletzt,
auch von Blut blieb sie dort unbenetzt,
doch Horwendel starb durch einen Schnitt,
der ihm hat die Bauchdecke zerfetzt,
so dass seiner Eingeweid Unschlitt
sich am Boden mischte mit Unrat und Splitt.“
Zweifel hatte Horand immer noch,
doch er schwieg und starrte an die Haut,
musterte bald dies, bald jenes Loch
und hat Astrid forschend angeschaut.
„Und es gibt noch etwas!“ rief sie laut,
„was ich heut‘ zum ersten Male sag,
ich hab‘s mich zu sagen nicht getraut,
denn von Fengo hatte ich Auftrag,
es mit mir zu nehmen in den Sarkophag.
Fengo nahm mir damals ab den Eid,
nichts, was in der Kammer ich gesehn,
je zu bringen an Öffentlichkeit –
andernfalls würd Mord an mir geschehn.
O, ich fühl die Klinge jetzt noch wehn
am Gesicht vorbei… Doch abgepresst
war und unheilig der Eidschwur, den
ich hiermit gebrochen, weil ich fest
daran glaub, dass er besteigt des Throns Podest!“
Damit griff sie nach des Prinzen Hand,
und zum ersten Mal Jubel erscholl.
Der Tribun erhebt erneut Einwand:
Niemals wäre Gertrud trauervoll
Ehe eingegangen ohne Groll
mit dem Mörder angetrauten Manns.
Dieser Frag Hamlet antworten soll,
um zu lösen Kraft des Frevelbanns,
Reriks Tochter sei doch keine dumme Gans.
Hierauf Hamlet leidvoll sich erhebt
sagend, er sei glücklich, dass Gertrud
seinen Anschlag habe überlebt,
überlebt auch habe Fengos Wut,
der, zu stillen seines Neides Glut,
ihr hab angetan wüste Gewalt,
zwingend sie in neuer Ehe Hut,
sie jedoch blieb abweisend und kalt,
weshalb er als Kebse hab Edvig bestallt.
Aller Augen wandten sich zu ihr,
die versteinert an der Eiche sass,
ähnlich jenem katzenhaften Tier,
das, wie ich bei Ptolemaios las,
lag vorm Pharaonen-Grabgelass…
O wie gerne sähe ich doch links
von der Pyramide regennass
(und dafür bedürfts nur meines Winks)
liegend-grossohrige Alabastersphinx!
Gertrud schaute lange rätselhaft
vor sich nieder, jenem Wesen gleich.
Mühevoll hat sie sich aufgerafft,
aufgeblickt – und ihre Lippen bleich
spitzten sich – und wurden wieder weich.
Sie hat unter Tränen nur genickt,
Hamlet so bestät’gend folgenreich –
damit war der Durchbruch ihm geglückt,
alle sprangen auf und jauchzten wie verrückt:
„Rerik tot, Hamlet, sein Enkel, lebt,
Hamlet sei König von Dänemark,
hoch empor auf seinen Schild ihn hebt,
er sei unbesieglich, machtvoll, stark!“
So geschahs. Doch zuckte durch sein Mark
überraschend wieder innrer Kampf,
so dass er zu Boden stürzte arg,
mit der Füsse und der Fäust Gestampf
sie verscheuchend, die entsetzte sein Gekrampf.
Eine nur sich ihm zu nahen wagt,
auf die Seit ihn wälzt, die Zung befreit,
Das ist Raïssa, die liebste Magd,
die um ihn getragen hat viel Leid.
O, wie ist sie niedlich, diese Maid!
Hori aus des Sachsenherzogs Hut
rückzuholen, ists jetzt an der Zeit.
Liebreich ihrem König Gutes tut
sie, dies Rachenetz gewirkt für seine Wut.
Eingeäschert wird, was Feuersbrunst
übrig liess von Opfern, Mann und Frau.
Doch des Grabs besänftigende Gunst
wird verweigert Fengos Asche grau.
In den Seewind streut man sie, der lau
weht von Vinland über uns hinweg.
Aufgerichtet hat man neuen Bau
auf demselben jüt’schen Erdenfleck –
eschenblank erhob er sich aus Aschedreck.
*
Vor der Wikingfestung Hälsingör
sieht man Volk sich drängen, gehn und stehn,
voller Sehnsucht, dass es Pracht betör,
seinen neuen König will es sehn.
Schwerter blitzen, feine Schleier wehn,
prächt’ge Fibeln leuchten in der Sonn,
Kinder stellen sich auf ihre Zehn,
eines kletterte auf eine Tonn,
lacht und zittert und weiss nicht, wovon.
In der Burg hört man Geschepper laut,
Rossewiehern und Befehlsgeschrei,
vor das Tor tritt einer, dick, ergraut,
und er raunzt aus dickem Bauch: „Juchhei!“
Weist die Masse an, dass sie in zwei
Hälften teile sich, um so den Zug
durchzulassen und an sich vorbei.
In den Händen er die Harfe trug,
zu begleiten frohen Skaldensanges Flug.
Und er sang von einem armen Mann,
der zum Schein sich wahnsinnig gestellt,
nahm des Narren Art und Weise an
und getäuscht hat so die ganze Welt.
Da ging auf das Tor – und bis zum Belt
liess erzittern Lachen dän’sche Erd:
Der herausritt, schmutzig und entstellt,
er sass rücklings auf geschecktem Pferd,
grinste dumm, hielt in der Hand des Rosses Stert.
Rawil wars, dem Hamlet einzig wert,
andre Hand schlenkerte, angegarnt,
jene Stechfliege, mit Stroh bewehrt,
damit er den Freund so klug gewarnt.
„Gut hat seine Absicht er getarnt!“
sang der Skalde, und das Volk, es schrie,
dass so mancher in die Hose harnt’,
denn man spürt’ der Klugheit Energie
und wie über Dummheit triumphiert hat sie.
Dann kommt einer in des Altwolfs Fell,
der in Fengos Hürden mordend brach,
zu erinnern an den Ausspruch hell:
„Möchten solcher Pferde unterm Dach
meines Oheims viel’ sein…“ Mit Gelach
ging dies Wort hier nun von Mund zu Mund,
und so manchen stark der Hafer stach,
dass sie Hamlet nannten Höllenhund
und damit taten ihre Bewundrung kund.
Ihm folgt einer mit ner Schüssel voll
jenem Mehl, das Hamlets Mühle malt,
und erneut freut sich das Volk wie toll,
als es hört, wie er es heimgezahlt
Onyx hat, der sich in Schlauheit aalt’.
Dann drei Männer mit dem Ruder schwer,
das er deutete als Messer kalt,
um zu schneiden Schinken, der heisst Meer –
laut Gelächter durch die Strassen hallt –
„Obrigkeit, gib Obacht, denn wir kommen bald!“
Zweie tragen dann vom schwarzen Netz,
was die Flamme davon übrig liess,
dass das Volk auch hieran sich ergetz,
denn es ist das Werk eines Genies.
Und die „Pfeile“, jene Haken fies,
damit er das Netz hat festgezurrt,
die als „Angelhaken“ Snaebjörn pries,
trugen sie geschnallt an Ledergurt’
so, als trügen sie sie seit ihrer Geburt.
Schauder löst des Skalden Strophe aus:
„Einmal senkt sich ja das schwarze Netz
auf uns alle nieder, Mann und Maus,
keinem es gelingt, dass ers zerfetz,
kein Erbarmen kennt des Tods Gesetz,
alle reisst er fort, hinab zu Hel,
dieser göttergleichen Schreckensmetz,
und auch ich, darin geh ich nicht fehl,
öl dereinst für Schatten meine durst’ge Kehl!“
Rausgewandelt kommt ein ries’ger Topf,
den man stülpte einem starken Mann
übern ganzen Leib, nicht nur den Kopf,
so dass jeder nun erkennen kann,
wie einst Mstivoj, der grosse Ran,
darin konnte werden gargekocht.
Und erneut hebt Snaebjörns Singen an:
Wie Hamlet ihn hat hinabgelocht
und die Schwein’ ihn haben schmatzend gern gemocht.
Einer trägt die Stäbe huckepack,
in die Mordbefehl ritzt’ Fengos Neid,
den Hamlet bei Nacht auf der Karack
hat auf die Begleiter umgeleit’t.
„O, der Bruderzwist vermaledeit,
mög‘ für immer er begraben sein!
Und wie Gold jetzt füllt die beiden Scheit’,
Freiheit und Gerechtigkeit uns ein
und uns mög von ekler Herrenfron befrein!“
Wigald folgt, hebt hoch empor das Schwert,
das er in der Scheide festgemacht,
wie es Fengo hat von ihm begehrt
in der Heimkehr mörderischer Nacht,
die so vielen hat den Tod gebracht.
„Wigald ist der einz’ge, der entrann,“
sang der Skalde, „als die Niedertracht
endgültig geriet in Acht und Bann,
davon sie sich nie wieder erholen kann.“
Nun jedoch durchschreitet hohes Tor
Hochgewachsner Recken goldne Schar,
jedem im gewalt’gen Bläserchor
Lure um den Leib gewunden war,
schritten miteinander Paar um Paar
und entlockten gelblichem Metall
Töne, dass emporstand jedes Haar:
Dröhnendes Geschmetter überall,
unterstützt von dumpfer Kesselpauken Hall.
So ward angekündigt Frau Gertrud,
die auf einem Thron man trug herbei,
den an dreissig Frauen wohlgemut
auf den Köpfen balancierten frei.
Sie jedoch rief immer nur: „Verzeih,
o verzeih mir, den ich hab benützt,
dass ich dich gekränkt mit Schäkerei,
dass ich dich nicht besser hab beschützt
und schlussendlich deinen Mörder unterstützt!“
Dabei schlug sie sich die weisse Brust
und zerkratzte sich das Antlitz wild,
war in ihres Schmerzes blut’ger Lust
edler Reue überwält’gend Bild.
In ein Kleid aus schwarzem Samt gehüllt,
war sie würdevoll und elegant,
Jubel ihr aus tausend Mündern schrillt,
widerhallend hier von Wand zu Wand,
übertönend noch den bronzenen Diskant.
Übertroffen aber wird sie noch
von der Frau aus fernem Tatarstan,
die das Kleid trägt, dünn und Loch bei Loch,
das im Wald sie hatte angetan,
zu versuchen Hamlets scheinbarn Wahn.
Als das Volk sie sah, fast ganz entblösst,
strahlend mit schneeweissem Schneidezahn,
ihre Locken blauschwarz aufgelöst,
wars, als hätt es dicken Met sich eingeflösst.
Voller Anmut ritt sie Swanehilt,
jenen Rappen munter, mutig, treu,
der, entstammend himmlischem Gefild,
röhrt aus dunklem Bauch wie ‘n Berberleu.
„Alles wird wie ihre Jugend neu,
Grazie regiert jetzt dieses Land,
lasst sie uns verehren ohne Scheu,
denn durch diese zarte braune Hand
Hamlets bittre Einsamkeit Erlösung fand.“
Vierzig Jungfraun geben ihr Geleit,
zuwerfend den Menschen holden Kuss,
eingehüllt in weisse Leinenkleid’,
bieten sie, anmutig gehnd zu Fuss,
Ampfer- und auch Lattichblatt zum Gruss.
„Diese war‘n das Lager ihrer Lieb‘,
diese Blätter sahen ihr Geschmus,
das, ihr wisst‘s, nicht ohne Folgen blieb
dank dem zärtlichsten und dem brutalsten Trieb!“
Unruhe löst aus die Litanei,
denn verbreitet hat sich das Gerücht,
zeugungsunfähig der König sei
und die Dynastie gesichert nicht.
Führte man das Volk hier hinters Licht?
Bringt Hamlet schon einen Erben ein?
In die Bäume steigt für bessre Sicht
jetzt so mancher und beginnt zu schrein,
Spannung sie berauscht wie roter Cyperwein.
Doch zuerst kam eine Springergrupp,
Männer mit geölten Körpern glatt,
die auf Händen liefen und dann, schwupp!
drehten Saltos oder schlugen Rad,
warfen sich und sprangen, nimmer matt,
dass das Aug nicht wusst, wies schauen soll,
nimmer ward es dieser Körper satt,
wie voll Kraft an ihnen alles schwoll –
jauchzend, wirbelnd, lachend rasten sie wie toll!
Endlich dann, vielstimmig wiehernd, naht
schwerer Rösser stampfend-dampf’ger Zug,
achtzehn sinds, die man zusammentat,
schirrte vor des Königswagens Bug.
Und darauf, ists Wahrheit, ist es Trug?
steht gekröntes, himmlisch-schönes Weib –
nein, es ist Hamlet, der göttlich-klug,
zeigt im Hermelin den weissen Leib,
der gesund und kraftvoll ihm erhalten bleib!
Achtzehn Krieger heben ihn nun auf,
heben ihn auf den erhobnen Schild,
und sie reichen etwas ihm hinauf,
das des Volkes tiefste Sehnsucht stillt:
Denn es ist ein Kindlein, süss und mild,
Hori, Hamlets eingeborner Sohn.
O, was für ein wundervolles Bild!
Spricht es denn nicht aller Bosheit Hohn?
Denn für ewig scheint gesichert Dänmarks Thron!
Der verfolgte, göttliche Kastrat,
dessen Stirne nun der Kronreif schmückt,
den umwittert ungeheure Tat,
wie noch keinem andern sie geglückt,
nimmermehr vor jemand er sich bückt!
Und empor hebt er das Kindlein jetzt,
wie es lacht! Die Massen sind entzückt,
dieses Schauspiel jedes Herz ergötzt
und vergessen macht, wie oft es ward verletzt.
Gönnen wir der Unterwerfung Glück
dän’schem Volk, das jauchzend es begeht,
schlimm genug ist noch des Schicksals Tück,
unsre Pläne es zerstört, verweht.
Ganz am Schluss des Zuges, einsam, seht
Horand schreiten ihr, den Volkstribun?
Zweifel auf die Stirn geschrieben steht,
ob gerecht und richtig war sein Tun,
ungerächter Toter viel im Erdreich ruhn.
Schliessen will ich nun das Heldenlied,
darin ich den wahren Hamlet sang,
einen, dem die Tat, die Rache blüht,
der nicht schwankt und tatenlos ist, bang.
Dir, o Frederik, dem viel gelang,
widme ich mein ungelenkes Werk,
und besitzt es auch nicht Königsrang,
so verdient doch gnädigs Augenmerk,
was dein Statthalter verfasst’ auf gipsnem Berg.
Wenn mich nicht zur Gänz zerstört Krankheit,
will ich singen weitre Hamlettat,
wie er Hermuntrud von Schottland freit’,
brit’sche Krone sich erobert hat,
Krieg zu führen wurde nimmer matt,
Heer der Toten führte in die Schlacht,
bis dann Dänemark ward seiner satt,
Harald Blauzahn griff nach Kron und Macht,
somit endend Heidentums illustre Nacht.
Ich jedoch die Niederschrift beend,
bring sie dem Holunderbusche dar,
leg sie in sein schattiges Geländ,
fühle mich getröstet wunderbar.
Freundschaft zwischen Mann und Weib ist rar,
hier ich ihren Duft gefunden hab:
Was Tekmessa lispelnd rauscht, ist wahr,
ihres Wesens Würze mich erlab,
bis auch mich verschlingt das gnadenlose Grab.
Doch bis dahin trink ich Hollerpunsch,
aus den schwarzen Beeren herb gebraut,
und erfülle mir so manchen Wunsch,
da die Welt einmal auf Sand gebaut.
Tubus, der Tekmessa einst geschaut,
hab ich keusch und steil gerichtet auf
Sommerhimmels schwärzlich-blaue Haut,
zu verfolgen der Planeten Lauf,
rätselnd über Schicksals Epizykelschlauf.
Mög‘ uns Gnade werden einst zuteil,
dass zurückgegossen wir in Geist
werden aus dem Leib so blutig-geil,
in die Fülle, die pleroma heisst.
Dort nichts mehr die Glaubenswelt zerreisst,
Odin, Zeus, Jehova – alles eins,
Weltenschlange in den Schwanz sich beisst,
gross ist klein, leer voll und alles keins,
wie Bacchanten einst, hintaumelnd voll des Weins.
Epilog
Der du mir vorausgingst, o Edmund,
der die Sprache meiner Ahnen spricht,
die einst Cimbrien verliessen und
wohnen in Britannien dicht bei dicht –
halte mir im Hades, wo Gericht
über uns einst König Minos hält,
einen Platz frei, dass ich dein Gesicht
sehen kann und hörn, die mir gefällt:
deine Stimme, die bezaubert alle Welt.
Sollte finden meines Sanges Art
je Verlegers und Buchdruckers Huld,
bitt ich ihn, dass er daran nicht spart
und bezahlt, was seine Kunst ihr schuld’t:
Setz es in Fraktur mit viel Geduld,
zier es aus mit Kupferstichen klar,
rahme mit Grotesken wüst, okkult,
was ich unter Schmerzen kaum gebar,
teils ein Christ, teils Grieche, teils Barbar.
Ihr jedoch, der lieblichen Kamill’,
auf die ich am Wegrand kaum gab Acht,
angemessnen Dank ich sagen will,
weil zu mir sie mich zurückgebracht.
O, wie manche Nacht hab ich durchwacht,
weil mir mein barbar’sches Erbe hat
innerlich mördrisch zu schaffen g’macht:
Ohne sie wär ich erloschen matt,
hätte nie gesungen Lied in Westwind-Stadt.
Vergleichende Namenstabelle
Saxo Grammaticus Cilicius Cimber William Shakespeare
1190 1597 1600
Amlethus Hamlet Hamlet
Gerutha Gertrud Gertrude
Horwendillus Horwendel Geist von H.s Vater Hamlet
Fengo Fengo Claudius
Lauscher Mstivoj Polonius
Milchbruder H.s Rawil Laertes
Jugendfreundin H.s Raïssa Ophelia
Begleiter Hamlets Olaf Rosencrantz
Eike Guldenstern
Rerik, König Rerik
Vigletus Harald Blauzahn
König von England Egbert
seine Frau Olivia
seine Tochter Anna
seine Mutter Ute
Schaffner Morary
Hermuthruda, Königin von
Schottland Hermuntrud
König von Norwegen Fortinbras
Andere namentlich genannte Personen sind freie Erfindung der Autoren oder Gäste aus der Geschichte.
*) Vergleichende Namenstabelle am Schluss des Textes