Dezembergedanken 1922

Das Bild zeigt Quoth the Raven (Dietrich Feldhausen)

Dem Andenken an Jules Renard (1864-1910) gewidmet

Gedanken in der Adventszeit

Kerzen anzünden in der Dunkelheit. Warum ist es feierlicher, als das elektrische Licht anzuschalten? Wahrscheinlich, weil Kerzenlicht so beschützenswert ohnmächtig ist gegen Nacht und Zugluft.

Die Messingleuchter sind von meiner Urgroßmutter, ich liebe sie mit großer Wehmut und Nostalgie. Andere verbinden nichts mit ihnen, für sie stehen sie nur im Weg.

Jetzt erschallen wieder Chöre – aus Radios, Fernsehern und in Kirchen – für Atheisten ein Ärgernis? Unter den Sängern und Sängerinnen des Bachchors, den ich kenne, sind mindestens 5% Atheisten und 90% Agnostiker. Die wenigen Frommen erkennt man daran, dass sie nicht besonders gut singen.

Der Kantor, dessen hoffnungsvoller Sohn mit 20 an Lymphdrüsenkrebs starb. Wie ertragen Sie das?, fragte ich ihn. Nur durch ständigen Blick auf den Gekreuzigten, war seine Antwort.

Ich gehe über den Weihnachtsmarkt. Gerüche nach Kebab und Baklava mischen sich unter die von Glühwein und Schmalzgebackenem. Ich entscheide mich für Falafel mit Hummus, dazu trinke ich Ayran. Ein großer weißer Lkw kommt heran. Aber er fährt vorbei.

Wenn ich in diese Kirche gehe, bemächtigen sich meiner fromme Gefühle, ich weiß nicht woher. „Ich glaube nicht an dich, lieber Gott, aber ich danke dir, dass du die Menschen so schöne Gebäude hast bauen lassen!“

Die erste nackte Frau, die ich sah, war die aus Holz geschnitzte Eva des Altars. Was für Rundungen! Welche Anmut! Ich kann nicht ausschließen, dass sie heute noch meine Vorstellung von Frauenschönheit bestimmt. Und hat sie nicht Größtes vollbracht, als sie vom Apfel der Erkenntnis aß? Größeres als Adam, der es nur ihr zuliebe tat?

Meinem Bruder, Physiker und Atheist, sage ich: Ihr Atheisten seid eigenbrötlerische Einzelgänger. Mitnichten, erwidert er, denke nur an die Kongresse von Physikern, Astronomen und Biologen! Auch wenn ein paar unverbesserliche Gläubige darunter sind – es sind große, fröhliche und oft genug auch feuchtfröhliche Ereignisse. Nur getanzt und gesungen wird leider nicht. Aber auch das kommt vielleicht noch!

Wer sich rühmt, Menschen immer mit Respekt behandelt zu haben, erinnert sich wahrscheinlich nur selektiv.

Ärgere ich mich, wenn ich beim Mensch-ärgere-dich-nicht geschlagen werde? Ja, aber es ist ein Ärger auf einer anderen Ebene als der, wenn ich mir an der niedrigen Kellertür den Kopf stoße, ein Ärger, den ich vorausgesehen und in Kauf genommen habe, um mit anderen zu spielen.

Immer, wenn ich Mensch-ärgere-dich-nicht spiele, denke ich an meinen Vater, der es im Lazarett spielte, um ein Weilchen zu vergessen, dass ihm jetzt der rechte Fuß fehlte, den ich noch habe.

Mein Sohn sitzt mit seiner Mutter in der Philharmonie. Er ist mir abhanden gekommen.

Meinen Enkelinnen zeige ich im Chat die Paprika, die Zwiebel, den Lauch und die Aubergine und bin merkwürdig glücklich, wenn sie sie benennen können.

Jules Renard sagt: „Der Vorhang der Erinnerung lässt sich nur zurückziehen, wenn auch er es will.“ Deshalb habe ich mir eine Liste angelegt, in der ich festhalte, was mir oft partout nicht einfallen will – z.B. den Begriff fossil, aber auch Peripetie und die Schauspieler Charles Laughton und Robert de Niro. Für letzteren habe ich mir eine Eselsbrücke gebaut: Er hat es an die Nieren … Und an wen will ich mich wohl erinnern, wenn ich denke: Er ist kein Spinner? Natürlich an Baruch –

Ich mag die Streberspiele nicht, bei denen man Punkte oder Spielgeld sammeln muss – Schaffe, schaffe, Häusle baue, Kinder zeuge und verrecke … Sie sind zu wirklichkeitsnah, der Glücksfaktor ist zu niedrig.

„Schneeflöckchen, Weißröckchen“ sollte man allen Wohnungslosen vorsingen, die jetzt erfrieren.

Unterfüttert mit Ironie -ein Unterfutter von der Wirksamkeit einer schusssicheren Weste.

Mein Akustiker geht auf Distanz zu mir, seit ich herausgefunden habe, dass er Spätaussiedler aus Kasachstan ist. Er glaubt, dann müsse ich ihn verachten. Obgleich das Gegenteil der Fall ist, glaubt er mir das nicht. Das ist wie mit Anti- und Philosemitismus: Beide sind ungerecht.

Das Kernproblem der Spätaussiedler ist, dass sie in mehr als 4000 km Entfernung in Asien lebten, als „wir“ den Holocaust in Deutschland, Polen und der Ukraine begingen. Das „Nie wieder!“ unserer Staatsraison lässt sie kalt.

Auf die Mülleimer musste ich ordentlich drauftrommeln, damit die festgefrorenen Deckel aufgingen. Erinnert mich an einen Schulfreund, der nach Trinidad zog und mir schrieb, dass Mülltonnen in seiner neuen Heimat Musikinstrumente seien, er höre sie oft bis tief in die Nacht hinein.

Mein altes Blutdruckmessgerät hat mir wohl geschmeichelt und immer 15mm/Hg zu wenig angezeigt. Das neue enthüllt diesen Betrug. Ich beschließe, es seinerseits für fehlerhaft und schlecht geeicht zu halten.

Ich mag es nicht, wenn meine Partnerin im Spiel gegen mich verliert. Sie ist immer so ehrlich bemüht und tut mir dann wahnsinnig leid. Aber wenn sie gewinnt, sagt sie mir, was ich hätte anders machen müssen, um meinerseits zu gewinnen, und das empfinde ich als belehrend und ärgerlich.

Man mag die Bibel als Grundlage zweier Religionen noch so sehr verachten – als Literatur hat sie Bestand. Ob das auch für den Koran gilt, bezweifle ich.

Mit meiner Heimatstadt verbindet mich nur noch das dortige Grab meiner Eltern. Mein Bruder hat einen Gärtner mit seiner Pflege beauftragt, er schickt uns jährlich ein Foto.

Über den Vater einer früheren Freundin ist ein Wikipedia-Artikel erschienen. Plötzlich fällt ein kaltes Licht auf meine Erinnerung und ich erfahre Dinge, die ich gar nicht wissen will.

Was ist an der Aussage des Aristoteles, der Rauch steige nach oben, weil sein Ort oben ist, so falsch? Mir genügt das völlig.

Der alte Landarzt spricht: „Gesellschaftlich war ich unten immer oben und oben immer unten.“

Dass Kühe nicht nur Milch und Mist produzieren, sondern auch Methan-Pupse, hat uns die Klimakrise gelehrt. Trotzdem esse ich gern ein gutes Gulasch. Und im Sommer möchte ich grüne Wiesen mit schwarz- oder rotbunten Rindern nicht missen.

Gelegentlich erlaube ich mir einen Ausflug in die Himmelhölle des Dualismus, der ja unserer Sprache mit ihren vielen Gegensatzpaaren gleichsam eingelagert ist. Aber reumütig kehre ich immer in die Wirklichkeit zurück, in der alle Gegensätze verschmelzen. Ist nicht der Dumme oft genial, der Reiche eine arme Sau, der Blinde ein Seher, der Jugendliche senil und die Frau hat die Hosen an? Nein, es ist alles eins und auch Gutes und Böses strömen aus einer Quelle.

Nachtrag zu den Gedanken in der Adventszeit

Die leise Trauer im Gesicht schöner Menschen: „Ich bin nicht so gut, wie ich schön bin…“

Das Libretto für eine Oper schreiben, deren Held ein Incel (involuntary celibate) ist, und er hat einen Leporello dabei, mit dessen Hilfe er sich singend an die vielen Frauen erinnert, die er begehrte und umwarb, die ihn aber abgewiesen und gedemütigt haben. Und nun schwört er Rache und wird zum Begründer einer femiziden Sekte – bis ihn zum Schluss dann doch noch Liebe und Reue erwischen – denn natürlich hat er die einzige, die ihn liebte, getötet.

Gibt es schöne Männer, die nicht schwul sind? Einige sicherlich – Goethe zum Beispiel. Obgleich der Volksmund dagegen spricht: „Goethe spielt Flöte auf Schiller sein Piller.“ Das war das Einzige, was einem meiner Spielkameraden zu den Büchern einfiel, die bei uns im Regal standen.

Im Personenverzeichnis von Schillers „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“ wird Calcagno als „hagerer Wollüstling“ charakterisiert. Als meine Mutter, die das gelesen hatte, ihre Mutter fragte: „Was ist ein Wollüstling?“, bekam sie statt einer Antwort eine Ohrfeige.

Wovor man sich als Träger einer Zahnprothese hüten sollte: Sich über die Balustrade einer Flussbrücke zu beugen und herzhaft zu niesen.

Wird die künstliche Intelligenz uns Mittel und Weg aufzeigen, um die Klimakatastrophe zu mildern, zu stoppen oder sogar rückgängig zu machen? Was, wenn sie uns empfiehlt, einem Atomkrieg auszulösen, um die fatale Übervölkerung des Planeten zu reduzieren?

Die weißen Streifen auf Trainingsanzügen sind für mich seit meiner Reha zur Uniform der Übergewichtigen und Gehandicapten geworden.

Es war ein Fehler der DDR, das Sorbische nicht zur zweiten Amtssprache zu machen. So hätte sie die heiß ersehnte eigene Identität erlangen können.

Fontanes Begeisterung für die Wenden (Elbslawen) teile ich. Wäre ihnen wie den Polen vor 1000 Jahren die Nationbildung gelungen – und sie waren nahe dran! – Preußen hätte es höchstwahrscheinlich nie gegeben!

Wie man Viren durch Manipulation überlisten und unschädlich machen kann, ist mir ebenso unbegreiflich wie das Profitieren von sinkenden Aktienkursen durch Leerverkäufe.

Riesige Quader aus Glas und Beton ragen in die glühenden Abendhimmel Katars. Alles wird immer rationaler und zugleich suizidaler. Steiner misstraute dem rechten Winkel zu Recht.

In Dr. Heinrich Hoffmanns „Struwwelpeter“, einem meiner liebsten Kinderbücher, mag manches pädagogisch für uns heute Unverantwortliche drinstehen, aber „Die Geschichte von den schwarzen Buben“ ist geradezu ein wokes Paradigma.

In meiner kleinen Enkelin mich selbst zu erkennen – ein unbeschreibliches Gefühl. Wenn ich sterbe, sterbe ich doch nicht ganz.

Weitere Gedanken in der Adventszeit

Es gibt einen Geruch, der mich sofort zurückversetzt in die traulich behütete Welt meiner Kindheit, etwas fettig und nach Minze: Es ist der Geruch von Ballistol.

Gleichberechtigung: Als Mann habe ich das Recht, die wichtigen Fragen zu entscheiden, über die unwichtigen entscheidet die Frau. Aber die Frau entscheidet auch darüber, welche Fragen wichtig und welche unwichtig sind – sie hat die Kompetenz-Kompetenz.

Mit MeToo haben die Frauen sich aus der bloßen Objektrolle befreit. Aber für viele Männer haben sie dadurch an Attraktivität verloren.

Die Pandemie hat zu einer Renaissance der Halbmaske geführt – wie im venezianischen Karneval.

Ich hatte einen Klassenkameraden, unter dessen Diktate schrieb die Lehrerin die Anzahl der richtigen Wörter. Er roch nach Karbid.

Eine neue Mitschülerin stellte sich uns im 4. Schuljahr vor und schlug lachend ein Rad. Sie starb nach unglücklich verlaufener Ehe durch Suizid.

Misteln wachsen wie Geschwüre in Bäumen und entziehen ihnen einen Teil ihrer Kraft. Deshalb müssen sie gegen Krebs wirksam sein: Similia similibus curentur.

Hat Gott gelogen, als er bei der Geburt Jesu durch seinen Engel „Frieden auf Erden“ versprach? Nein, er versprach einen Frieden nicht von dieser Welt.

„Katten knuffelen met Geerd Wilders“. Unter anderem dies Video hat ihm den Wahlsieg gebracht. Rechtsradikale stellen sich gern als liebenswerte und harmlose Herrchen und Frauchen von Haustieren dar. Auch Marine Le Pen und Javier Milei. Sie wissen, warum.

Dona nobis pacem. Seit anderthalb Jahrtausenden eine immer aktuelle und unerhörte Bitte. Sie gemeinsam in einem Chor singend auszusprechen, macht Mut.

On the road. Dieses Pathos der gesuchten Verlorenheit, Heimatlosigkeit im Buch Kerouacs. Ich habe es nie gemocht. Es hat eine Alkoholfahne.

Immer, wenn ich die Alpaka-Socken anziehe, denke ich an meine Tochter, die in 4000 m Höhe in den Anden beim Besuch von Quinoa anbauenden Bergbauern ohnmächtig wurde.

Sie sei eine kulturmarxistische grüne Kampflesbe, heißt es von einer Philosophin. So ein tolles Weib würde ich gern mal kennenlernen.

Als mir vor 20 Jahren der erste Backenzahn gezogen wurde, tröstete mich der Zahnarzt: „Sie kommen jetzt in das Alter, wo man Abschied nehmen lernen muss.“ Das habe ich bei den Zähnen hinter mir, bei den Haaren dauert es noch an.

Die Dialyse eines Freundes hat mich gelehrt, meinen Nieren zutiefst dankbar zu sein.

Meinen Schwiegervater verschlug es als Truppenarzt nach Kampen in den Niederlanden. Dort bot ihm ein einheimischer Arzt erfolglos an, ihn in seinem Keller zu verstecken, der Krieg sei für Deutschland eh verloren. Er zeigte ihm den Keller, in dem eine drehbare Trommel stand. Name des Arztes: Willem Kolff. „Er hat 13 Ehrendoktortitel für diese Erfindung bekommen“, setzte mein Schwiegervater immer andächtig hinzu. „Und ein Asteroid wurde nach ihm benannt.“

Gedanken in der Vorweihnachtszeit

Wenn ich drei Briefe in den Postbriefkasten stecken muss, bringe ich oft nur einen weg, um noch Ziele für zwei weitere Gänge zu haben. Ich hasse Spazierengehen.

Das ästhetische Begutachten von Landschaft hat sich durch die Erderwärmung verändert. Moore, Meere, Gletscher und Wälder haben etwas Bedrohliches erhalten – und dabei schlagen sie nur zurück. Um herkömmliche Naturpoesie zu schreiben, bedarf es heftiger Verdrängung.

Mein Bruder, Physiker, glaubt, dass die Raumfahrt, wenn wir die Erde unbewohnbar gemacht haben, weit genug entwickelt ist, um einigen Glücklichen die Rettung auf andere Planeten oder deren Monde zu ermöglichen. Wie lange wird es dauern, bis sie auch ihre neue Heimat unbewohnbar gemacht haben?

Es gibt einen ernsthaften Konflikt zwischen meiner Partnerin und mir: Wir kochen beide gern. Die Lösung: Wenn ich koche, liest sie im Wohnzimmer die Zeitung, wenn sie kocht, lese ich im Literaturforum keinVerlag und ergötze mich an Reimwerken, Aphorismen und Prosaergüssen, gelegentlich auch an den offenbar unvermeidlichen zänkischen Stammtischeleien.

In der Schweiz war ich Anarchist, in Frankreich lief ich über zum Glauben an die Vernunft, England lehrte mich Pragmatismus, Deutschland die Dialektik, Italien aber Sinnlichkeit und Genuss. So bin ich eine Art weltanschaulicher Zwiebel geworden.

Schon Brecht hat sich gefragt, was eine Naturwissenschaft wert ist, die Atombombenabwürfe ermöglicht. Würde ich ein Stück über das Leben des Galilei schreiben, ich würde die Kirchenleute ahnen lassen, dass die von Galilei so stark vertretene Naturwissenschaft und ihre technische Umsetzung zwar einen scheinbaren und zeitweiligen Fortschritt, in Wirklichkeit aber den Untergang von Natur und Menschheit in der Klimakatastrophe herbeiführen wird.

Das Blackfacing ist in Verruf geraten – siehe den Kampf um den Zwarte Piet in den Niederlanden – , aber das Redfacing ist nicht besser. Winnetou ist der Inbegriff eines zur Rothaut geschminkten Weißen, und in Segeberg, das im Mittelalter Frontstadt gegen die Wenden war, sollte man lieber einen Obotriten statt eines Apatschen zum Helden machen und statt Old Shatterhand den tapferen Mönch Vizelin ins Kalkbergtheater stellen, der von hier aus versuchte, die Slawen zum Christentum zu bekehren, bis ihn ein Schlaganfall zwang, hilflos und stumm die Nachrichten von ihrer Rückkehr zum Heidentum entgegenzunehmen.

Danke, KI!

Mein schärfster Konkurrent in der Grundschule war Herbert, ein dürrer Zappelphilipp, aber er schrieb in Diktaten eine Eins nach der anderen – Worte wie Diphterie, Typhus und Rhythmus waren für ihn ein Kinderspiel, während ich vor allem die h hinter Konsonanten immer wieder vergaß und noch heute imstande bin, Teater und Rabarber zu schreiben. Später wurde er Anhänger von Bodyart, infizierte sich mit Masern, stellte sich rot gefleckt in seiner Galerie aus und gründete schließlich einen Erregerzoo mit der Begründung, diese letzten und einzigen ernsthaften Feinde des Menschengeschlechts hätten es jahrhundertelang zu seinem Segen kurz gehalten und seien sehenswerter als Löwen und Tiger. Dort habe ich erschauernd Yersinia pestis und Vibrio cholerae zum Kaiserwalzer von Strauss unter dem Mikroskop schwimmen und zappeln sehen. Ach, könnte ich Dich, Herbert, doch einmal noch treffen und mit Dir einen Roten kippen! Aber Du bist vor zehn Jahren in Westafrika, als Ebola dort grassierte, verschollen. 

Dona nobis pacem in der der bald 250 Jahre alten Krönungsmesse gehört und war gerührt – von so vielem. 

Gedanken zu Weihnachten

Ich genieße des Ausblicks in den winterlichen Park. Den Genitiv habe ich mir bei Fontane ausgeliehen.

Am meisten über Spaltung und Unfrieden beklagen sich die, die am meisten dazu beitragen.

Meine Tochter wurde durch die Pandemie ins Homeoffice verbannt. Jetzt möchte sie aus dem Homeoffice nicht wieder ins Büro verbannt werden.

Warum feiern auch Atheisten so inbrünstig Weihnachten? Weil es für ein gutes, bewährtes und seit Jahrhunderten eingeübtes Ritual keines geglaubten Auslösers bedarf. Es genügt ein Stern auf der Baumspitze.

Meine Mutter besaß eine etwa handgroße farbige Wachsplastik, die den Esel mit Maria und dem Jesuskind auf der Flucht nach Ägypten darstellte. Sie bekam Weihnachten immer einen Ehrenplatz – nicht zu nah an Kerzen, damit sie nicht schmolz – dabei hielt meine Mutter die Geburt Jesu für ein Märchen. Die  Wachsplastik hatte sie von der Baronin erhalten, auf deren Gut sie Erzieherin gewesen war.

Mein Vater hängte mehrfach die Reproduktion der Flora von Bartolomeo Veneto aus seiner Kunstdrucksammlung ins Weihnachtszimmer. Er behauptete, das Bild stelle einen Engel dar – mit goldenen Korkenzieherlocken und Gänseblümchen in den gespitzten Fingern. Später erfuhr ich, es werde vermutet, dass es ein Porträt der Lucrezia Borgia sei, dieser wohl berüchtigtsten Frau der Renaissance.

Ein Schwuler bekannte sein Bedauern, dass ein Geliebter einen birnenförmigen Arsch hatte, er bevorzuge apfelförmige. Tröstlich, dass auch die Schwulen so absurde Vorlieben für Rundungen haben!

In Fontanes Roman „Unwiederbringlich“, der z.T. hier in Südschleswig spielt, tauchen Namen von Orten auf, die ich oft aufsuche. Der Boden, auf dem ich wandle, scheint mir plötzlich literarisch untermauert.

Ich fragte meinen nierenkranken Freund, was für ihn das größte Glück sei. „Das größte Glück ist es für mich,“ sagte er, „wenn morgens eine stattliche Wurst meinen Darm verlässt.“ Traurig sei es nur, dass sie sogleich vom Wasser verschluckt würde. „Die früheren Klos waren viel besser. Da konnte ich mein Werk gebührend bewundern!“

In der Schweiz kannte ich einen Restaurator, der seinen Beruf so sehr hasste, dass er sich gelegentlich an zweit- oder drittklassigen Gemälden, die ihm in Auftrag gegeben wurden, rächte. „Das hat einen viel zu hohen Himmel!“, befand er und sägte 30cm Himmel ab. Ob es diesen Hass auf den eigenen Beruf auch bei anderen gibt, bei Ärzten und Altenpflegern zum Beispiel?

Ihre schlimmste Schulerinnerung, sagte Marlis, sei die an Jungen, die sie an Händen und Füßen gepackt, ihr die Hose heruntergezogen und sie über Brennnesseln geschwenkt hätten. „Wie sadistisch!“ sagte ich empört. Sie bedankte sich: „Du bist der erste, der darüber nicht lacht!“ Aber innerlich lachte auch ich.

Fontane ein Dampfplauderer? Ja, aber ein genialer!

Weitere Gedanken zu Weihnachten

Warum ich mich an Diskussionen über die Frage, ob Gott existiert, nicht beteilige: Weil sie sinnlos sind. Existiert Gott, sind sie sinnlos. Existiert er nicht, sind sie auch sinnlos. Beweisbar ist Beides nicht.

Die lange Hand von Per Olof Enquist um meine Hand sich schließen zu fühlen, war – schön.

Wenn Gott einen Sohn hatte, muss er ein Weib gehabt haben. So oder ähnlich hat Paracelsus es ausgedrückt.

Gewinnen Unwahrheiten an Würde und Wahrhaftigkeit, wenn sie lange für Wahrheiten gehalten werden? Für viele: Ja.

Ich hörte von einem Mädchen, dass es aus Schweden stamme. Da ich in sie verliebt war, sah ich ihren ganzen Zauber in dieses riesige Land hinein, und noch als ich dreißig Jahre später zum ersten Mal nach Stockholm und Uppsala kam, lag über allem, was ich sah und erlebte, ein Hauch ihrer Anmut.

Warum ist damals die Schule nicht abgebrannt? Ich hätte Salka unter Einsatz meines Lebens aus den Flammen gerettet! Wie Holk die Schwedin Ebba in Fontanes „Unwiederbringlich“.

Meine Kinder werfen mir vor, sie hätten sich erst spät zu Partnerschaften durchringen können, weil die Ehe ihrer Eltern so kalt und unzärtlich war. Aber hätten sie uns eine Scheidung nicht erst recht vorgehalten?

Warum bringe ich mich in Diskussionen um Flüchtlinge und Asylanten nicht ein? Ich habe ihnen Deutschunterricht gegeben, habe viele liebenswerte Menschen unter ihnen kennengelernt, habe ihr Essen gegessen, habe unterm Tannenbaum die Weihnachtsgeschichte aus dem Koran vorgelesen und freue mich über die Friseurin, den Tankwart, den Hausmeister und den Fotografen, die aus ihnen wurden. Aber ich lebe auf dem Land und nicht in einem Stadtviertel, in dem es durch sie immer enger wird und in dem viele sich nur noch durch Dealen oder andere kriminelle Handlungen glauben durchbringen zu können.

Wer nie mit den Fäusten von außen auf geschlossene Fensterläden getrommelt und „Cosi fan tutte!“ gebrüllt hat, weiß nicht was Liebe ist.

Ich habe am Genfersee eine Hand geschüttelt, die auch schon die von Rilke, Hofmannsthal, Chaplin und Hitler geschüttelt hat. Sie ist längst so vermodert, wie auch meine bald vermodert sein wird.

Eine lesbische Frau zu lieben, ist ebenso schmerzhaft wie herrlich. Warum schmerzhaft, ist klar, aber warum herrlich: Es ist eine Liebe ohne Bewährungszwang.

Schon als Knaben plagte mich die Frage. zu welchen Verbrechen ich als Kaiser von Rom fähig gewesen wäre. Einerseits: zu allen! Andererseits hätte es mich auch in einen förmlichen Sittsamkeits- oder Gutmenschenrausch versetzt, keines zu begehen.

Warum mische ich mich in Streitigkeiten um den menschgengemachten Klimawandel nicht ein? Ist er nicht menschengemacht, kommt er trotzdem, und ist er menschengemacht, kommt er auch, denn wir klammern uns mit Klauen und Zähnen an das mühsam mit fossiler Kraft Errungene und Gewohnte und gehen freudig damit unter.

Mein Bruder ist begeistert vom Mechanismus von Antikythera. Für ihn beweist er, dass es seit der Antike, die alles vorwegnahm und -ahnte, nichts Neues gibt unter der Sonne. „Er war ein Altertümler, wie die meisten schleswigschen Pastoren,“ schreibt Fontane. Mein Bruder ist Physiker und Atheist, aber es wäre auch ein guter Pastor aus ihm geworden.

Ich liebe den Herrnhuter Stern, aber das ist auch das einzige, was ich von ihnen liebe. Ich war in Christiansfeld und habe ihren nach Geschlecht geteilten Friedhof gesehen. Doch, sie backen einen sehr guten Honigkuchen, den mag ich auch. Entdeckt habe ich die Siedlung ursprünglich deutscher Herrnhuter in Dänemark durch Per Olof Enquists lesenswerten Roman „Lewis Reise“.

Immer noch Weihnachten

Geborgenheit bei Kerzenlicht. Draußen wird Erdgas abgefackelt.

Armut in Nordengland: Frierende Adipöse.

Die trügerische Welt der Weihnachtsmärkte.

Dies Jahr ein Weihnachtsbaum aus recyceltem Plastik.

Mir werden besinnliche Festtage gewünscht. Worauf soll ich mich besinnen? Ich habe nur mein altes kümmerliches Ich und ein paar dahinschwindende Euros auf der Bank.

Weihnachten hat einen Kern, nach dem ich mich sehne. Wird er im Krippenspiel enthüllt, schlafe ich ein.

Die Maria wurde von der verhassten Schulleiterin gespielt, rührend.

Was man am Stollen lernen kann: Nur der ganze schmeckt, herausgepickte Rosinen langweilen.

Mein Lieblingsplätzchen knirscht zwischen den Zähnen: Heidesand.

Ich liebe diese Messingleuchter, weil sie immer da waren. Das ist die intensivste Liebe: Die aus Gewohnheit.

Weihnachtsgrußkarten schreiben. Ein guter Grund, um dann ein Jahr an den Adressaten, die Adressatin nicht mehr zu denken.

Advent – wer kommt da? Ein Haupt voll Blut und Wunden.

Im Rollstuhl, fett, aufsässig. Es ist nicht immer leicht, die Ärmsten der Armen zu lieben.

Freude über ein Geschenk simulieren, das man am liebsten gleich wegwürfe. Die Gründe kennt man.

Es ist schwer, in der Giftigkeit der Christrose (helleborus niger) nicht einen Fingerzeig zu sehen.

Gott glaubt nicht an Gott, und dieser Atheismus ist ihm bei Gott nicht auszutreiben.

Gedanken zum Jahreswechsel

„Die Russen kommen!“, schluchzte ich ins Kopfkissen, als meine Mutter mich fragte, warum ich heulte. „Nein, das ist nur Silvesterknallerei, die gab es auch früher schon, und jetzt haben die Tommys sie wieder erlaubt.“ Aber ich war untröstlich; die Zonengrenze war ja nur 30 Kilometer entfernt.

Bleigießen war das Schönste. Bei mir kamen immer Ungeheuer heraus.

Feste sind um so intensiver, je nichtiger ihr Anlass ist. Und einen nichtigeren Anlass als den bloßen Wechsel einer Ziffer in der Jahreszahl gibt es nicht.

Als sich alle vier Ziffern änderten, wurde ein Zusammenbruch aller Computer prophezeit. Er trat leider nicht ein.

Es war unser Größtes, durchs Viertel zu schleichen und Stinkbomben in offenstehende Fensterklappen zu werfen. Leider waren die der Studienräte in der Straße immer zu!

Knallfrösche hüpften uns um die Füße, die Mädels kreischten und vollführten unanmutige Hüpfer.

Die Aufklärung durch meinen Vater bestand aus einem einzigen Satz: „Unter ihren Kleidern sind alle Frauen nackt.“ „Aber alle Männer auch!“, antwortete ich. „Das ist uninteressant,“ erwiderte er. Sein Bruder hätte das nicht gesagt.

Ein Nachbar feierte 365 mal im Jahr Tageswechsel, jedes Mal mit einer Flasche Doppelkorn. Und erreichte ein biblisches Alter!

Ich begnüge mich damit, mir jeweils zum Quartalswechsel was zu gönnen. Ich bin nämlich, naja, ihr wisst schon.

Mir wird schwindlig, wenn ich daran denke, dass die Erde sich nicht nur um ihre schräge Achse dreht, sondern auch um die Sonne kreist (in einer Ellipse), mit ihr in der Milchstraßengalaxie um ein schwarzes Loch strudelt und mit dieser in einer Galaxienwolke durch den gekrümmten  Weltraum rotiert, der sich ständig ausdehnt … Wie gut, dass bei uns nicht auch noch die Erde bebt, wenigstens das nicht!

Für meinen Bruder ist die Silvesternacht mit viel Arbeit verbunden. Er geht dann im Stall mit Möhren von Box zu Box und beruhigt die Pferde. Unfassbar, dass man mit ihnen noch im Schusswaffenzeitalter hat Krieg führen können!

Warum stimmt zunehmender Mond mich froh, abnehmender trübsinnig?

Der schlimmste Mensch der Welt mit der wunderbaren Renate Reinsve.  Es macht Spaß, ihr beim Nachdenken zuzusehen. Oder vielmehr: Wenn sie Nachdenken spielt.

Ungern suche ich den Urologen auf; ich habe immer das Gefühl, er stünde hinter der Tür und klapperte mit den Skalpellen.

Internisten spielen gern in einem Streichquartett, Chirurgen bevorzugen die Jagd.

Sind Verschwörungstheorien wirklich nur was für loser? Fanatiker gehen auch aus gut betuchten Kreisen hervor.

Der Rückblick auf 2022: Nichts Besonderes. Was ich von 2023 erwarte? Nichts Besonderes, allenfalls mein Ableben.

Im Osten nichts Neues.

Wozu ein Forum wie Keinverlag gut ist: Es verstärkt ein wenig die Gewissheit zu existieren.

Lecker ist für mich ein Unwort. Lecker kann allenfalls ein Lolli sein oder ein Eis am Stiel. Eine gute Mahlzeit ist schmackhaft.

Bestimmt bekomme ich beim Berliner Essen wieder den mit Senf gefüllten!

Bin ich Opti- oder Pessimist? Ich würde es so sagen – und sage es: Ich versuche, das zu Befürchtende nicht unter der behaglichen Steppdecke des zu Hoffenden zu ersticken.

Gedanken zum Krieg

Im Krieg gezeugt und geboren, im Krieg gestorben – als Greis.

Kriege sind Unwetter, die aus Menschen brechen.

Die Hände klatschen zusammen, die Motte ist tot. Ich liebe meinen Troyer.

Sie wurde als Wickelkind an der Wäscheleine durchs brennende Haus in den Luftschutzkeller hinabgelassen. Das erzählt sie nicht ohne einen Anflug von Stolz.

Für uns war nächtlicher Luftalarm das Zeichen, dass wir zur Mutter ins Bett durften. Deshalb sehnten wir ihn herbei.

Aus Margarine, Zwiebeln, Äpfeln, Grieß, Wasser und Salz lässt sich ein Brotaufstrich herstellen, der echtes Schmalz in den Schatten stellt.

Den Krieg als Soldat überleben – nichts als Zufall? Bei Lehrer F. war auch ein Stückchen Schwejk dabei. Er sorgte dafür, dass er durch die Offiziersprüfung fiel und verlor deshalb nur den linken Arm. Von denen, die bestanden hatten, kehrte keiner zurück.

Der frisch eingezogene junge Beamte verschwand mit einem Luftsprung um die Ecke aus dem Leben seiner ihm nachblickenden schwangeren Frau.

Der Angreifer ist böse, der Verteidiger gut, daran gibt es nichts zu deuteln. Aber im Verlauf der Kampfhandlungen werden sie einander immer ähnlicher.

Der Präventivschlag wird nicht dadurch besser, dass der Alte Fritz ihn erfunden hat. Meist entlarvt er sich schnell als das, was er ist.

Im Schach sollte Schwarz anziehen.

Nichts geht so ruhmlos unter wie die Heldentaten der Verlierer.

Meinen Onkel rettete vorm rosa Winkel nur, dass die Wehrmacht ihn aufnahm. Sein Kampf für die Nazis war so absurd wie der von Sklaven für die Konföderierten im Amerikanischen Bürgerkrieg.

Chickamauga, Chattanooga – Schlachten, deren Namen seit meiner Wolfe-Lektüre nicht verblassen wollen.

Unter dem schützenden Dach von Hiroshima und Nagasaki finden weiterhin Kriege statt. Zwar nur konventionelle, aber die sind schlimm genug.

Eine Kerze auspusten ist leicht, einen Krieg beenden schwer. Oft beendet ihn nur das Herabbrennen der Kerze.

Wird der Wert des einzelnen Menschenlebens mit steigender Bevölkerungsdichte weniger geachtet? Dann müsste er in Russland sehr hoch bewertet werden.

Ohne Identität können wir nicht leben. Aber es ist schrecklich, wenn sie zur Waffe wird.

Für die Rüstungsindustrie unentbehrlich: der Krieg als Test ihrer Produkte. Jetzt weiß sie, dass der Gepard doch noch nicht schrottreif ist.

Der archimedische Punkt der Geschichtsbetrachtung: Von jenseits des Todes.

Leid gibt es auch ohne Krieg. Aber es wird durch ihn relativiert.

Was wäre die Literatur ohne Krieg und Gewalt? Ein Schatten ihrer selbst. Ohne Ilias, Nibelungenlied, Simplizissimus, Krieg und Frieden und Das Feuer könnte ich den Nichtkrieg gar nicht richtig genießen.

„Zwei Armeen, die einander bekämpfen, sind eine große Armee, die Selbstmord begeht.“ (Henri Barbusse)

Erinnerungen zur Milch

Meine Mutter war verzweifelt: Sie stillte mich ab, aber ich vertrug das Kuhmilchpulver nicht. Von einer Freundin bekam sie den Tipp: Es gibt Sauermilchpulver. Ohne das gäbe es mich nicht.

Beim Milchmann Schlange stehen und dann Auswahl zwischen drei Tonnen, aus denen Buttermilch, Magermilch oder Vollmilch geschöpft wurde.

Milchholen in der eineinhalb Liter Kanne, ein Viertpfund Butter wurde hinzugefügt – es schwamm darin. Nach der Währungsreform wurde eine Zweiliterkanne daraus.

Milch wurde in einer Satte (flachen Schüssel) angesetzt, um zu gerinnen, und wurde dann mit hineingebrocktem Schwarzbrot verzehrt. Durch die Zutat von roter Gelatine wurde „errötende Jungfrau“ daraus.

Aus Buttermilch und darin eingeweichten Schwarzbrotresten wurde Brotsuppe gekocht.

Und noch eine andere Suppe, die „Bottermelksupp mit Klümp“ muss erwähnt werden. Sie wurde auf durchwachsenen Speck und Backpflaumen gekocht, die Klöße waren aus Buchweizen. Eine Art schleswig-holsteinisches Nationalgericht, das bei den Bewohnerinnen des Altersheims immer große Begeisterung auslöst.

Der Milchmann mit dem Pferd und der Glocke. Er hatte nur Vollmilch zu verkaufen aus einem Tank. Sein Pferd äpfelte auf die Straße, wir wussten das und liefen ihm nach, um die Äpfel für das Erdbeerbeet zusammenzukehren.

Rohmilch blieb für mich immer unverträglich, ich bevorzugte H-Milch – wie mein Onkel. Der war Heuschnupfler wie ich und konnte auch keine Rohmilch vertragen: „Ich pupse mir nach Frischmilch die Seele aus dem Leib.“

Als Kind trank ich gern gekochte Milch, in die ich ein aus Kakao und Banane gewonnenes Pulver schüttete: „Kaba, der Plantagentrank“. Das gab es im Kolonialwarenladen, der immer noch so hieß, obgleich Deutschland zum schon seit 30 Jahren keine Kolonien mehr hatte. Hätten wir sie behalten, es gäbe bei uns so viele Schwarze wie Pakistanis in England.


In den Kunstbüchern meines Vaters fand ich das Bild der mit kugelrunder Brust stillenden Gottesmutter von Jean Fouquet. Später fesselte mich „caritas romana“ (Cimon und Pero) von Rubens: Ein im Gefängnis verhungernder alter Mann wird von seiner Tochter, die gerade entbunden hat, durch Stillen gerettet. Die Brust meiner Mutter (und stillender Frauen) hatte ich nie gesehen. Aber diese Bilder überzeugten mich: Der Mensch ist ein Säugetier.