Ce toit tranquille, où marchent des colombes,
Entre les pins palpite, entre les tombes;
Midi le juste y compose de feux
La mer, la mer, toujours recommencée
O récompense après une pensée
Qu’un long regard sur le calme des dieux!
Paul Valéry
Weg zum See

Das ferne Haus, Geborgenheit verheissend,
ein Himmel voller Schlangen, blau und gleissend,
der See, der See, das Ziel vor allen Zielen,
und schräge geht ein Junge seines Wegs,
erinnert sich des ruinösen Stegs,
von dem so viele schon ins Wasser fielen.
Wie angenehm der Schatten dieser Fichte,
ein bergend Dach ist ihrer Nadeln Dichte
und auf dem See der heiklen Phyllis Boot,
mit der er oft schon seinen Heimweg teilte,
für die er oft schon an Gedichten feilte,
und schwärmte von der Lippen Kirschenrot.
Vergessen will ich nicht die Krüppelpracht
der Linden, die der Gärtner abgeflacht.
Sie sind so tapfer, stehen voller Würde
in Reih und Glied in kahler Kurallee,
auch wenn im Winter unter Massen Schnee
sie fast zerbrechen an der Glitzerbürde.
Ganz leis ans Ufer Moderwelle schwappt,
es klingt, als ob ein Hund im Napfe schlappt,
und friedlich ruhn auf des Gewässers Grund
Gewehre, Munition und Handgranaten
sich aus vom Ringen blutrünstiger Staaten,
an denen Menschen, Länder wurden wund.
Wenn weisses Blut das rote überflügelt,
kann Phyllis noch so lieblich sein behügelt,
Gerichtstag der Natur ist angesagt,
sie bleicht dahin, ruft Eike an ihr Bette,
schaut fragend ihm ins Aug‘, ob er sie rette,
ihr banges Lächeln hat ihn schwer verklagt.
Esstisch

Der Tisch gedeckt, die Fenster winzig klein,
die Tür so hoch, es müssen Fürsten sein,
die hier zum Mahle gleich mit hohen Kronen
sich setzen an die Tafel, gut bestückt,
der Hausfrau ist ein Bratenwerk geglückt,
und die Prinzess kredenzt uns ihre Bohnen.
Wie still sie ruhn, die weissen Leinservietten,
der Hände harrend, die sie zärtlich glätten,
es ruhn die silbernen Serviettenringe,
in die das L des Hauses ist graviert,
mit Punkten ist das Tischtuch ausgeziert,
und freudig lechzt nach Fleisch die Messerklinge.
Doch wo ist er, der König dieser Stube,
für ihn scheint nicht gedeckt zu sein. Der Bube
sehnt sich nach väterlicher Allgewalt,
die zwar versehrt ist durch des Krieges Wüten,
doch die Tapete, sie zeigt Primelblüten,
und überall ist Hoffnung und Gestalt.
Im alten Amtsgericht entscheidet er
über der Gläubiger verzweifelt Heer,
kehrt oftmals heiser vom Gebrüll nach Haus,
und freut sich, wenn der Gattin Nylonfüsse
dem Holzbein unterm Tisch entrichten Grüsse,
die sagen: Gern zieh ich für dich mich aus.
Den Boden bilden braune Eichenbohlen,
darauf der Teppich liegt, der unverhohlen
das Blau der beiden Meere mit dem Blut
der vielen Kämpfe und dem Grün der Wiesen
und Wälder eint, als wärn es eitel Fliesen,
und das erscheint dem Knaben wundergut.
Sturm

Hier haben sie am Steg bezogen Posten
und schauen wie gebannt und starr gen Osten,
woher der Wind mit vollen Backen faucht,
aufwühlnd den See, in dessen Wellenkronen
geschuppte Leiber von Najaden wohnen,
von feisten Tritonsöhnen untertaucht.
Die beiden stehen da dem Sturm zum Hohn,
Frau Vilma ist’s mit Eike, ihrem Sohn,
sie halten sich mitnichten bei der Hand,
verbunden sind sie nur durch ihren Trotz,
der spottet heiter aller Wut des Gotts,
an ihnen wird sie jämmerlich zuschand.
Zwei Bretter fehlen an dem Steg von zehn
und Phyllis‘ Boot ist nirgendwo zu sehn.
Die kühne Seglerin, sag, wohin trieb
der Ostwind sie, die doch so sicher kreuzt,
ich hör, wie Eike sich die Nase schneuzt,
er wüsste gern, wo seine Muse blieb.
Bewegte Luft durchorgelt fernen Tann,
ein Knab‘ ist Eike hier, noch lang kein Mann,
doch keimt bereits in ihm der Liebe Saat,
ergeht in Sehnen sich und bitterm Schmachten,
und oft genug muss er sich selbst verachten,
ist Träumer nur und noch kein Mann der Tat.
Ganz andre Schmerzen sind’s, die Vilma plagen
und oft muränenartig an ihr nagen,
denn Eikes Vater rührt sie nicht mehr an,
ist immer unzufrieden und unwirsch –
er ist ein Jäger und auf Frauenpirsch,
hat sich entpuppt als polternder Tyrann.
Sternenhimmel

Wenn über dieser kleinen Blockhauswelt
des Nachts sich reckt und streckt das Sternenzelt,
dann, sag ich euch, ist Hagen gar nicht weit,
der kosmophil als forschender Zyklop
an einem selbstgebauten Teleskop
sein stilles Leben den Gestirnen weiht.
Für ihn sind Sternenbilder Menschenwerk,
der kalten Wahrheit gilt sein Augenmerk,
den Körpern und dem ungeheuren Raum,
dies unfassbare Nichts, erfüllt von was,
ungreifbar, körperlos, nicht mal ein Gas,
dem Raum, der aufquillt wie auf Bier der Schaum.
Und dennoch zollt Bewundrung er dem Schwan,
auch der Orion ist ihm nicht nur Wahn,
erschauernd und versonnen stand er da,
erstaunt ob eines Seins, das, unerschaffen,
in ihm sich spiegelte wie tiefes Klaffen,
das ihn erblickte und in das er sah.
Indessen kündet Rauch vom Stubenglück,
in das er sich ermüdet zieht zurück,
bestimmt den Längen- und den Breitengrad,
auf die geschlossnen Augen drückt die Ballen,
vorüberziehen Nebel, die wie Quallen
vorüberschweben, bittres Zölibat.
Andromeda, in dein spiraliges Strudeln
soll eines Tages das Erkennen sprudeln,
verkörpert durch den Mann mit Spiegelschild,
er nähert sich auf seinem Pegasus,
kommt kosmisch wonnebebend zum Erguss,
verschmilzt mit dir zu Peter Pauls Gebild.
Schlafzimmer nachts

Hier liegen sie in ihren braunen Schragen,
man hört nur leise ihren Atem klagen,
es sei denn, dass der Hausherr mit Geschnarch,
von dem das Bett, ja, selbst die Wand erzittert,
das böse Rudel scheucht, das ihn umwittert,
darunter manch zerlumpter Dreschmonarch.
Der eine armlos und der andre blind,
betrunken sind sie alle und sie sind
so schrecklich fröhlich, ziehen Lachgrimassen,
die zahnlos fleischig blanker Gaumen ziert,
der eine auf dem Kunstfuss balanciert,
der andre hat im Kopf nicht alle Tassen.
Gekrümmt und friedlich in der Ecke hält
Nachtruhe auch der Held der heilen Welt,
die ihn mit mütterlichen Händen still
und zärtlich stets umfängt, aus der er hier
nicht fallen kann, meint er, doch über ihr
nordlichtert Angst, die nimmer weichen will.
Sie rast die Treppe hoch mit Koffermassen,
sie darf den Zug auf keinen Fall verpassen.
Sie keucht und muss noch über Schläfer steigen –
oder sind‘s Tote, die den Weg versperrn?
Doch oben grüsst sie roter Doppelstern,
wie konnte sie den Anschluss so vergeigen?
Die Flusen, die sich unter Betten sammeln,
sie wispern mit einander, flüstern, stammeln:
Wer wird der erste wohl am Morgen sein,
um aufzuziehen den Vorhang rot und blau,
dass in den Alltag gehen Mann und Frau,
erlöst durch Sonnen-, winters Lampenschein?
Spielbord

Ein Korb, ein Fenster und ein blaues Möbel,
dazu die Holzbauklötze, wie sie Fröbel
in seiner Lehre vorgeschrieben hat,
damit die Form von Würfel, Pyramide
den Geist des Kindes geometrisch schmiede,
vernünftig ordne diesen Nimmersatt.
Ein Vorgeschmack auf Technik ist die Bahn,
der sich ein Tunnel bietet bergend an.
Ein kräft‘ger Korb, geflochten aus den Ruten
der Weide, die am See ihr trauernd Haupt
ins Wasser senkt, wo es sich frisch belaubt,
er ruft: Räum auf, mach zu, du musst dich sputen!
Ein Auto und ein Tunnel, Lumpenpuppe,
dazu das Fenster auf die ferne Kuppe,
das war ein Kinderleben, wie’s im Buche steht.
Der braune Peti, rotgelockte Trine,
und Hagen tritt im Flur auf eine Mine,
und ward wie Ahab einbein‘ger Prophet.
Sie spielen unverdrossen weiter Krieg,
begeistern ahnungslos sich am Endsieg,
sie schwenken den obszönen Machtrauschwimpel,
umrunden links-zwo-drei-vier lieben Tisch;
dann gibt es Minze, aufgegossen frisch,
und Hurra! krähen die vergnügten Gimpel.
Den Speicher, den bewohnt die Stachelgieke,
die ihre Schwester Babbe mit Gequieke
die Treppe in den Flur hinunterscheucht,
die Burschen rasen schreiend ihr voraus,
denn Babben sind ein wahrer Schwabbelgraus,
vor ihnen zittert, was da kreucht und fleucht.
Esstisch

Erinnert er sich wohl, der Tisch so morsch,
des Mittags, als die Erbsen warn auf Dorsch
statt Schwarzmarktspeck von Vilma keck gekocht,
zwar schwebten Fischfettaugen auf der Suppe
und schwamm darin noch manche Silberschuppe,
doch keiner hat den Schlangenfrass gemocht.
Das gab ein Rümpfen aller Männernasen
und Emils Donnerzorn begann zu rasen,
die Jungen duckten sich auf ihre Teller,
der Vater leerte seinen aufs Parkett,
das fand die Hausfrau nicht besonders nett
und rannte weinend in den Kohlenkeller.
Doch war beliebt die Suppe der Spartiaten,
aus Schweineblut gekocht mit den Zutaten:
Salz, Pfeffer, Essig und ein Lorbeerblatt,
das Kochen hat die Speise eingeschwärzt,
sie gierig essend, wurde laut gescherzt,
denn diese Pampe machte stark und satt.
Was aber sag ich über Hafergrütze?
Die war den Knaben gar nicht nach der Mütze,
da jede Menge Spelzen man drin fand,
die zog man sich verzweifelt aus den Zähnen,
die Grütze salzten die vergossnen Tränen,
und Stroh verzierte weissen Tellerrand.
Dazu gab’s keine Milch, nein, ein Gebräu,
noch heute denkt man dran voller Abscheu:
das war das sogenannte Heissgetränk,
grün oder rot und süss von Saccharin,
hätt‘ man’s am liebsten wieder ausgespien,
und doch hat man‘s geschätzt wie ein Geschenk.
Wohnzimmer bei Unwetter

Der Tisch ist abgeräumt, die Stühle starren
mit ihren Lehnen steil empor und harren
des stillen Volks, das hier zu Hause ist,
indes vorm Fenster grelle Blitze zucken
und Wolken schräge Regenmassen spucken,
den Donner spielt ein Riesenorganist.
Bei solchem Wetter gibt es keine Scherze,
es leuchtet auf dem Tisch die schlanke Kerze,
die Sicherungen werden rausgeschraubt.
Mit der Natur ist nicht gut Kirschen essen,
sie könnte jede Rücksicht schnell vergessen,
im Nu ist man des eignen Dachs beraubt.
Und alle warten jetzt auf die Geschichte,
wie Vilma einst im schwefelgelben Lichte
den Jungs im Kindertagesheim las vor,
als plötzlich aus dem Unterarm ‘ne Garbe
von Blitzen fuhr, wo heute noch die Narbe
beweist, dass Thor zum Opfer sie erkor.
Des Donnrers Tochter war seither ihr Name,
das war kein Name für ‘ne junge Dame,
nein, eine Dame wurde Vilma nie.
Sie trug bevorzugt Bubikopf und Hosen,
man konnte sie mit nichts so sehr erbosen,
wie wenn man jenen Titel ihr verlieh.
Nun aber hat sich’s draussen ausgeschüttet,
die Kerze brannte nieder, und zerrüttet
fühln alle sich von tosender Natur.
Die Stille, die nun eintritt, quält die Ohren,
die Orientierung haben sie verloren,
doch unbeirrbar tickt die Pendeluhr.
ROGGBIV

Wenn sich ein Regenbogen zeigte, rief
nach einem Worte das, es hiess ROGGBIV,
denn darin finden sich die Erstbuchstaben
zuerst von Rot, von Orange, Gelb, Grün, Blau,
von Indigo und Violett, der Bau
des bunten Bogens, der da steht erhaben.
Er wölbt sich überm hohen Himmelstein,
dem Anhydritblock, der im Sonnenschein
die Wucht des grauen Felsens jäh enthüllt.
Er trug die Burg des Herzogs von der Sieg,
bis dass die Schweden sie im Grossen Krieg
zerstörten, niederbrannten hasserfüllt.
Im Kirchengarten denkt ein roter Stein
des Mannes, der herzog vom Vater Rhein,
die Wolga hat er rauchend überquert,
gezeugt der Söhne zwei, Eike und Hagen,
die schwer an ihres Vaters Schuld getragen,
auch ihn jedoch hat Ehrverlust beschwert.
Denn die im Nachttisch lagen, seine Orden,
sind ihm zu einer Hypothek geworden,
er trug sie nie, und hob allein sie auf,
um für sein Handeln heimlich sich zu schämen,
bis in den Krebs hinein sich welk zu grämen,
ob der Verstrickungen im Lebenslauf.
„Wie leidenschaftlich las ich Cicero,
ergab mich aber Catilina so,
als hätte ich ‚quo usque‘ nie gelesen.
So hoch gebildet und zugleich so blind,
war ich nicht mehr als ein verstocktes Kind
und wünsche mir, ich wäre nie gewesen.“
Auf dem Himmelstein

An Phyllis‘ Seite Gipfel zu erklimmen,
war schöner noch als mit ihr segeln, schwimmen,
denn oben harrte beider eine Sicht,
in deren Weite sie zu eins verschmolzen:
die Triften fruchtbar, ferne all die stolzen
getürmten Nadeln wie ein Weltgericht.
Von unten lockte süssen Schwindels Sog,
verhiess Befreiung ihnen, doch er log,
hier durfte Eike endlich sie umfassen.
Zwar war sie mutiger vielleicht als er,
doch litt sie’s voller Nachsicht, weil sie schwer
ihn im Verdacht gehabt, er würd‘ sie hassen.
„Warum hast du mich gestern so versetzt?
Hast nicht bedacht, wie sehr mich das verletzt.
Verloren sass ich da in der Eisdiele,
sog schlürfend schalen Rest durch bunten Halm
und inhalierte Zigarettenqualm.
Dir sind, scheint’s, ganz egal meine Gefühle.“
„Ich war verhindert, mehr kann ich nicht sagen,
und bitte dich, mich weiter zu ertragen,
ja, bitte dich, dass du als Mann mich magst.
Zwar bin ich noch zu jung für solche Pläne,
sechs Jahre bin ich noch in Quarantäne,
dann hoff‘ ich, dass du mich zu nehmen wagst.“
„O binde nimmer dich an mich, mein Junge,
und zieh zurück die allzu kecke Zunge,
verbirg dein Antlitz nicht in meinem Schoss.
Ich bin für dich auf immer die Verfemte,
durch Vaterschuld auf immerdar Gelähmte,
denn sein Verbrechen, es war allzu gross.“
Akazie

Es gebe Menschen, hörte er als Kind,
die lieben Bäume, wenn sie einsam sind.
Frau Vilma, wenn sie zürnte, dann verschwand
sie an den See, in seine Wälder und
streifte umher, ein herrenloser Hund,
bis mühsam sie den Weg nach Hause fand.
So war es einmal, als ihr Mann sie fies,
ein Brite kam daher, beiseite stiess,
und sie nahm mit dem Rinnstein nun vorlieb.
„Hast du denn keinen Rest von Mannesstolz,
schiebst mich beiseite wie ein totes Holz,
grad als ob andres dir nicht übrig blieb.
Hast du dem Krieg geopfert nicht ein Bein,
soll ich nun die beiseit Geschobne sein?
Was hilft uns deine Unterwürfigkeit?“
Fast hätte sie zum ersten Mal geschlagen
den Mann, der einstmals in der Hansestadt
aus Liebeswirren sie gerettet hat,
doch Emil schlagen würde sie nicht wagen!
Sie flüchtet fort in den Akazienwald,
wo eine war, die bot ihr festen Halt.
Unter dem Dach der breiten Blätterkronen
beruhigt sich das aufgebrachte Blut,
erholt sich rasch gekränkter Lebensmut
zur Rückkehr in behagliches Bewohnen.
Zerrissen wie der Gang verfluchter Träume
in Schollen ist die Borke dieser Bäume,
an die sie sich mit Inbrunst hat gepresst,
sich aufzuladen mit Walkürenkraft,
zu trinken Baumes bittern Lebenssaft,
der jede Demütigung ertragen lässt.
Herrenzimmer

Das Herrenzimmer ist gemütlich warm,
und Emil fehlt ja nur ein Bein, kein Arm,
so hinkt er Pfeife rauchend auf und ab,
gedenkt der vielen, die nach Hause schrieben,
und dann zerfetzt am Boden liegen blieben,
und deren Leichnam niemals fand ein Grab.
Er denkt des Birkenwegs nach Astrachan,
wo wohl sein Fuss, es ist nicht nur ein Wahn,
vergessen ruht und eines Finders harrt,
die Zehenknöchelchen, das Fersenbein,
Hautfetzen, längst verwest, und Zehenklein,
ein Schmerzgedenken, das ihn häufig narrt.
Doch denkt er derer auch, die er getötet
und deren Blut die Uniform gerötet.
Sie waren Russen, brüderlich verwandt,
haben dem fast Erfrornen auf dem Ofen
geboten einen Platz zu warmem Pofen,
was für ein Volk, was für ein Riesenland!
Was er in Minsk gehört, gesehen hat,
er wünscht, es hätte nie gefunden statt.
Denn was sie taten, mussten sie es tun?
Und was sie litten, mussten sie’s erleiden?
Sind Täter, Opfer immerdar die beiden,
die wie verknäuelt in einander ruhn?
Ein Junge, der beim Einmarsch ihn um Brot,
auf Russisch chleb, hat angefleht in Not,
auch er geht ihm nicht aus gequältem Sinn.
„Warum hab ich ihm nichts gegeben?“ denkt,
der Hinkende verzweifelt und verschränkt
die Hände: „Weil auch ich ein Unmensch bin.“
Schlafzimmer nachts

Wie hasste ich des Lehrers rotes W
es tut bis heute mir im Herzen weh,
denn Wiederholung ist das Herz der Welt:
Wär ohne sie Musik denn mehr als Krach?
Was wäre Kunst, wenn sie nicht ahmte nach?
Ihr Wellenschlag ist’s, der das Leben hält.
So schlummern sie hier wieder, still vereint
in ihrer Kammer, draussen Kater greint,
unter dem Bett, da treffen sich die Flusen.
Der Junge träumt; es seufzen seine Eltern,
die kosend durch die Knarrebetten beltern,
und keck ertrinkt Emil in Vilmas Busen.
Die vielen Witwen, die der Krieg erzeugte
und unter frühe Trauerschleier beugte,
von ihnen sollen andre Sänger singen.
Nicht einfach ist’s, zu lieben einen Stumpf,
zu küssen einen arg vernarbten Rumpf
und diesem Krüppel Liebe darzubringen.
Doch Ekel ist benachbart oft der Lust,
sie ist sich ihrer Endlichkeit bewusst.
Wie wir verweste Milch in Käse wandeln,
Vergorenes der Rauscherpichte trinkt,
der Wollüstling in Ausscheidung versinkt,
kann Eros mit Verstümmelung anbandeln.
Ach, diese Stunden voller dunkler Triebe
und voller Angst- und greller Zweifelsschübe,
noch bittrer sind sie, ganz allein verbracht.
Wenn keine Hand das Zittern zärtlich stillt
und ihn beruhigt, der in Panik brüllt,
dann sind sie nur noch eines: Nacht der Nacht.
Segelboot

O See der Seen! Du heimisches Idyll,
dein Spiegel deckt die Massen Waffenmüll,
den Soldateska hier, besiegt, versenkte.
Für Eike, wenn er kühn mit Phyllis schwamm,
in seiner Badehose schwarz und stramm,
gab es nur eins, was seine Züge lenkte.
Sie kraulen zügig dann an einen Ort,
Nezenna nannte ihn des Dänen Wort,
und ihre Hände, ihre Münder suchen
geheimen Zugang zu des andern Sein,
als Reinen ist den beiden alles rein,
auch wenn die Schriften eitles Tun verfluchen.
Und kam es vor, dass, während Wellen rauschten,
neugierig Bauernbuben sie belauschten,
sie fuhren heiter fort mit zarten Grüssen,
vollendeten ihr Kosen ohne Scham,
bis unaufhaltsam die Erlösung kam.
und auch die Buben hörten sie geniessen.
Der Acker wird gepflügt, geeggt, gedrillt,
ihn fügte Eike sorgsam ein ins Bild,
drei Menschen sind zu sehn am Horizont:
Da wandeln in sonntäglichem Behagen
der Holzbein-Emil, der ihm fremde Hagen
und etwas abseits Vilma, übersonnt.
Doch auch die Jolle der so sehr Geliebten
durchfurcht den See, den allzusehr getrübten,
getrübt vom Gift der Hybris immerdar.
Wie kann man Nachwuchs zeugen in ein Grauen,
das keinen Halt vor Kindern macht, vor Frauen,
ist es nicht schlimmer, als es jemals war?
Scheitel

Bringt Erde nicht hervor das Brotgetreide?
Färbt Sonne es nicht golden wie Geschmeide?
Wie grossen Dank wir diesen beiden schulden!
Ob sie es wissen, die dahinter gehn,
nur ihre beiden Scheitel sind zu sehn,
beluden sich mit Schmach und mussten dulden.
Dass wir kaum kennen, die uns einst erzeugten
und unters Joch der Wirklichkeit uns beugten,
ist ein Gemeinplatz; Eike, Hagen sind
schon längst erwachsen, doch noch tief gespalten
und wissen nicht, was sie von denen halten
und denken sollen, die so wahrheitsblind.
Hat Vilma nicht mit einer weissen Lilie
gedacht der allerfreundlichsten Familie,
bei der sie lernte, was wohl „Schabbes“ meint?
Die Hausfrau segnet ihn aus ganzem Herzen,
entzündet sorgsam liebevolle Kerzen,
bevor man sich zu Brot und Wein vereint.
Sie wurden deportiert und sind verschollen,
dafür wird Eike seiner Mutter grollen
und seinen Vater grämen in den Tod.
Die schwarze Walze, die uns niederrollt
und wohl für alle Zeiten nimmt in Sold,
sie haben ihr gehuldigt ohne Not.
Da gehen sie, der kriegsversehrte Mann,
die Frau, die sich von ihm nicht trennen kann,
sie kämpfen um ihr Ansehn vor den Kindern,
sind gut und nachsichtig, es klafft ein Loch
in allem, was sie tun und sagen. Doch
kann keiner ihre Mitschuld je vermindern.
Treppe

Dass Treppen ins Verbotne uns entführen,
wo wir den Reiz des sonst Gemiedenen spüren,
weiss Eike, seit mit Hagen hurtig er
vor Giek‘ und Babbe floh vom Boden nieder,
sie trugen beide Strümpfe, Hauben, Mieder
und rochen ekelhaft nach Teer am Meer.
Das Klinkerhaus, dem sie entstammen, war
ein durchaus bürgerliches Exemplar,
sein Schlüsselloch lud ein, hindurchzuschaun,
man sah dort nichts als flatternde Bettlaken
und hörte dünne Waisenkinder quaken,
die emsig Wäsche bleichten mit Alaun.
Denn es ist üblich, hier im Friedenshafen,
die vielen Bettnässer hart zu bestrafen,
das ist der strengen Fliednerfrauen Recht.
Nicht Witwen, Krüppel nur erzeugt der Krieg,
nein, Waisen auch, die ich bisher verschwieg,
denn Elternlosigkeit hat sie geschwächt.
Ihr dürft bei Nacht nicht in die Wäsche pissen,
empören sich die dicken Diakonissen,
bedenkt doch, dass ihr nichts und niemand seid!
Erbittet, dass ein Engel euch beschütze
und euch bewahre vor der Ekelpfütze
und euch und uns erspare Arebeit.
Um Eikes Lebenswillen scharf zu wecken
und ihn ein wenig oder sehr zu necken,
droht Vilma ihm, er käm‘ ins Waisenhaus,
und Hagen gar, als er sein Windjackett
zerrissen hat, er käme ins KZ –
so viel Naivität verdient Applaus!
Automobil

Das knatternde, das stinkende Getüm
durchröhrt Stadt Himmelstein mit Ungestüm.
Als Vilma Kind war, hiess es „hott!“ und „hü!“,
das hat der Selbstbeweger nun verdrängt,
und während er die Atemluft beengt,
gibt der Chauffeur sein knatterndes Debut.
Wer aber schwebt dort übers Trottoir?
Ist es womöglich gar ein Ehepaar?
Nein, allzu jung erscheint Vilmas Trabant,
ich glaub, ’s ist Eike, dessen Zeigefinger
auf etwas weist, auf Hunde, Liebesringer,
die staunend in der Ferne er erkannt.
Nur wenig später malte er ein Bild,
das Vilmas Herz mit Angst und Grau‘n erfüllt‘:
Auf Treppenwirrwarr steht im Wind ein Mann,
er zeigt geradeaus ins pure Nichts,
als sei’s der jüngste Tag des Weltgerichts:
Wie sie ein solches Kind gebären kann!
Der eigne Sohn, so fremd und unvertraut,
obgleich ihr ist, als ob sie sich anschaut,
betrachtet sie den blonden Kindplanet.
Im Wesen aber ähnelt er der einen,
der ungeliebten Mutter, sie muss weinen,
weil diese Hexe in ihm aufersteht.
Sie sagt ihm traurig: „Lieber Sohn, du bist
in deinem Herzen reiner Nihilist.
Ich wünschte mir so sehr, dass du ans Gute
zu glauben lernst. Auch wenn’s mir nicht behagt,
ich hab als Vorbild offenbar versagt.
Wie hasse ich die Autos, ihr Getute!“
Sternenhimmel

So riesengross sie sind, so unvergleichlich,
es gibt nicht wenige, gibt ihrer reichlich,
unfassbar ist die Fülle, die im Dunkel
aus Raumes Fernen unser Auge trifft,
ach, wer in diese Tiefen jemals schifft,
verliert sich schnell im gleissenden Gefunkel.
Doch Hagens Sehnsucht, abhold aller Dichtung,
begibt sich allzu gern in diese Richtung.
Ist die Natur vom Menschen nicht entseelt?
Da draussen aber, wo sich Nebel gatten
und die Materie wirft dunklen Schatten,
ist alles rein und schuldlos, unverfehlt.
Sein Lieblingsziel ist der nicht ferne Mars,
erreichbar, wie sein Freund, der Däne Lars,
genialen Brahes Urenkel, versichert,
in einem Zeitraum, der durchlebbar ist,
nicht zu viel Zeit der Astronauten frisst,
wobei der Wiking fröhlich strahlt und kichert.
Dann standen sie an Tychos Grab in Prag
und dachten lachend an das Saufgelag,
bei dem der Astronom ‘nen Blasenriss
erlitt, dem er erlag und Keplern das
Benutzen seiner Daten als Nachlass
vermachte in nicht kleiner Bitternis.
Doch heute muss der vielgeprüfte Hagen
auch seinerseits so manches Leid ertragen,
denn seine Halsschlagadern sind verengt.
„Wie viele Tage sind mir noch geborgt,
da doch mein Blut das Hirn nicht mehr versorgt?“
fragt er sich oft, fühlt sich von Furcht bedrängt.
Schlafzimmer morgens

In dieser Nacht träumt Eike, dass er unter
der Zimmerdecke flattre, gleite munter,
vergleichbar einem blauen Schmetterling.
Was für ein schönes Sichgetragenfühlen,
was für ein wonniges die-Luft-Durchwühlen,
gern wäre er ein kühner Eindringling
in Sphären noch verbotener Natur,
nun schwebt er durch den dämmerdunklen Flur
und hört das Schreien wohl aus Frauenmund.
O was geschieht hier, welche Rituale
vollziehen sich im Treppenhaus, im Saale,
und wer erwürgt hier wen aus welchem Grund?
Das ist ein Traum, der oftmals ihn entführt,
in den er immer wieder sich verliert,
weil er es liebt, aus kühler Höh‘ zu blicken.
Wenn er als Fliege um die Lampe kreist,
von einem Zimmer in das andre reist,
ist ihm, als könne nichts mehr ihm missglücken.
Er ist allein, die Elternbetten leer,
zurückgeschlagen rote Plumeaux schwer,
und mag es dumpf von Bettgerüchen qualmen,
die Stubenfliege, Schöpfungswunder auch,
sie spürt der hingeraunten Wörter Hauch,
weiss sich gepriesen wie mit Davids Psalmen:
„Dass ich genervt so manche Fliege schlug,
ach, mein Triumph war eitler Selbstbetrug!
Denn ein Insekt kann jeder Dummkopf töten,
doch es erschaffen kann der Klügste nicht,
und deshalb muss, wer übers Tier Gericht
hält, eigentlich in bleicher Scham erröten.“
Esstisch morgens

Gedeckt ist hier die Kaffeetafel mit
der Kanne, unverzichtbarem Requisit,
und auf dem Tisch, da liegen Leckereien
wie Schinken, Käs‘ und Würste ohne Hülle
in üppiger, ja, widerlicher Fülle,
man kaut und schluckt sie, um sie auszuspeien.
Dass auf dem Grund von Schmausen und von Zechen
Begierde liegt, es alles auszubrechen –
wer hat das so geordnet, so gefügt?
Wer den Genuss nur im Verdauen findet,
sich niemals überm Abtritt würgend windet,
könnte es sein, dass der sich selbst belügt?
O welche Wollust, sich von allem lösen,
von Fett und Zucker, schlüpfrigen Gekrösen,
an Offenbarung grenzt die Herrlichkeit,
wenn röhrend dumpf in Rückwärtsperistaltik
der Magen sich ins Becken stülpt gewaltig,
als ob dein Innres sich von Schlamm befreit.
Du schüttelst dich, du schüttelst deine Mähne,
putzt dir den Mund und die zersetzten Zähne,
vernichtest säuberlich den Kotzgeruch.
Den Hunger stillen und den Anstand wahren,
Pflanzen verschlingen, ohne sie zu garen,
vermaledeiter ewiger Nahrungsfluch!
Genug des Ekels – nimm dein Schicksal an,
sei Jäger, Metzger, Esser, sei ein Mann,
das Leben, hör ich, sei kein Ponyhof!
Lass andre nur mit Pflanzenwerk anbandeln,
sie werden Licht in Leben nicht verwandeln,
lebe genügsam als ein Philosoph!
Spielbord

An diesem Ort der Spiele und Gefühle
schält der Erwachsne sich aus dem Gewühle
des bunten Spielzeugs mühevoll hervor.
Noch kennt er nicht des Alltags Arbeitsplagen,
tobt gut geschützt in kindlichem Behagen
durch der Modelle zierliches Labor.
Dort ist der Tunnel, dort der Selbstbeweger,
und hier ein Kran mit kräftigem Ausleger,
die Bahn, die aufgezogen werden muss.
Da wird getan, als ob es wirklich wäre,
man spielt hinein ins köstlich Ungefähre,
alles ist Spass und kennt keinen Verdruss.
Wär da das andre nicht, nicht das Aufräumen,
das alle Spieler reisst aus ihren Träumen,
denn Ordnung ist das wahre Durcheinander.
Begradigt ist der Bach doch nur Kanal,
Vilmas Befehl lässt Eike keine Wahl,
er reguliert den kunstvollen Mäander.
„Ach Phyllis, Phyllis, wärst du doch bei mir,
führst auf dem See nicht, sondern weiltest hier,
dir würde Vilma vieles mehr gestatten!
Nach einer Tochter sehnte sie sich immer,
nach einem laun’schen, kecken Frauenzimmer,
bestimmt bekommt sie’s, nimmst du mich zum Gatten!“
Doch Hagen lehrt, wie wortlos man sich fügt
und allen Wünschen Vilmas still genügt,
er hat begriffen: Wir sind unterlegen,
der Macht der grossen Menschen in Gestalt
der unabdingbarn elterlichen Gewalt,
die oft ein Graus ist, aber oft ein Segen.
Esstisch mittags

Gegessen wird gar oft in diesem Hause,
das Leben scheint hier eine einz’ge Sause,
doch Tischmanieren sind ein Hauptproblem.
Da Eike Linkspoot ist, will ihm das Messer
im rechten Händchen nicht gehorchen, besser
ist in der andren Hand es ihm bequem.
Er ist gesund; doch als er lernt zu schreiben,
muss seine Linke ganz untätig bleiben,
denn Schreiben ist allein mit rechts erlaubt.
Und da ihr das nicht zusagt, bindet man
sie an das Bankgetüm mit Schnüren an,
auch wenn der halb Versklavte ächzt und schnaubt.
Doch eines Tages wird in Gips gepackt
der rechte Unterarm, weil er zerknackt,
die Stunde seiner Linken hat geschlagen.
Nach rechts geht’s nicht; jedoch in Spiegelschrift,
die er bewusst nie lernte, ja, da trifft
er auf ein schönes, tiefes Schreibbehagen.
Und wenig später findet er ein Blatt,
darauf in Spiegelschrift geschrieben hat
der Mann aus Vinci, genial wie keiner.
Auch ihn hat man als Schüler einst versklavt,
er hat den dummen Rechtsdrill klar bestraft,
er hat gehandelt, denn er war kein Greiner.
Ach, wie es leis verhalten in ihm schreit:
„Ich bin Vertreter einer Minderheit,
muss mich der Rechtsanmassung stets erwehren!
Wie man den Dosenöffner führt mit links,
das ist ein Rätsel der rechtshänd’gen Sphinx,
das Leben wird mich’s wie so vieles lehren.“
Drahtzaun

Idyllisch scheint Natur sich zu genügen,
wir sehen Vögel und Insekten fliegen,
sie senken sich, um Blumen zu bestäuben,
und alle nährt die Sonne mit des Lichts
enormer Kraft, doch das ist alles nichts:
Wie kommt es, dass trotzdem sich Haare sträuben?
Wie schön wär diese Welt, wenn Zäune fehlten,
wenn nicht gelegte Feuer seitwärts schwelten,
wenn nicht das Höchste aller wär Besitz!
Hier ist es nur ein braun getränkter Pfahl,
sein Draht trennt eins vom andern Areal,
ist nicht das Eigentum ein Treppenwitz?
Doch alles ist von Eigentum durchwaltet,
und alles wird durch Eigentum gestaltet,
selbst wenn auf Tausende es ist verteilt.
Gestohlen sei es, rufen Insurgenten,
doch nur in wenigen Geschichtsmomenten
ist man dem Zwang zum Eigentum enteilt.
Und welches Glück erwartet die Enteilten,
die Eigentum mit allen fröhlich teilten?
Sie gehen angeln, kündet der Prophet,
und pflücken Blumen auf begrünter Au,
gehen spazieren mit der lieben Frau,
die ihnen hurtig eine Nase dreht.
Idylle ist das höchste aller Ziele,
ja, ist sogar das höchste der Gefühle,
wer sie gesichert weiss, der wohnt im Sinn.
Man nennt es wohl das neue Biedermeier,
sitzt trinkend, feiernd am Seerosenweiher,
man ahnt Bedrohung. Doch man schaut nicht hin.
Markise

Einholen gehen – was für ein Genuss,
seit man nicht länger Schlange stehen muss.
Das Angebot an Waren ist gigantisch,
verschwunden ist die Masse leerer Dosen,
es gibt Bananen, Rindfleisch, Aprikosen,
ein Währungsschnitt – und alles wird romantisch!
Auf einmal stimmen wieder die Finanzen,
die Gärtnerin sieht man die Eiche pflanzen,
reich ist, wer diese Frau sein eigen nennt.
Fünf Eis am Stiel kann man dafür erwerben,
will man partout den Magen sich verderben,
und hinterher ist man nicht mehr solvent.
Man trägt die Hose kurz und ’nen Pullunder,
bewegt bescheiden sich im Wirtschaftswunder,
Stabilität ist keineswegs gewiss.
Was nützen uns die frischgedruckten Noten,
die frischgeprägten Münzen, wenn die Toten
in manchen Kellern schau‘n aus jedem Riss?
Doch Eikes Holzhaus ist ja nur ein Schuppen,
als wär’s erbaut für Käthe-Kruse-Puppen,
errichtet von umsorgter Phantasie.
An Phyllis‘ Haus zeigt sich ein Menetekel,
ihr Vater übermalt den Stern voll Ekel,
verstärkt dadurch verdrängte Perfidie.
Fürwahr, nicht alle Opfer waren Engel,
der hatte Fehler, der diverse Mängel,
der hätte besser vor Gericht gehört.
Doch sie in unerhört rassist‘schem Rasen
in zugesperrten Räumen zu vergasen,
bleibt eine Tat, die ewiglich empört.
Vater am See

„Wir mussten es, wir mussten’s einfach tun,“
geht’s Emil durch den Kopf, der nicht immun
ist gegen Schuldgefühl, das ihn bezichtigt.
es mit dem Glauben an Gehorsamszwang.
Dabei wird manches Mal ihm etwas bang,
ob sein Gewissen ihn zu Recht beschwichtigt.
Er findet seine Zuflucht bei den Müttern,
steigt tief hinab, lässt sich von ihnen füttern,
mit einem Labsal, das doch leer ihn lässt.
Er sehnt sich nach dem Fuss, der abgetan
im Birkenwalde ruht vor Astrachan,
von Schnee bedeckt, von Tauwasser durchnässt.
Er zieht sich hinter Delaforce zurück,
und eine Handelsgold verstärkt sein Glück,
nur selten ist ihm Vilma noch gefällig.
Ihr zieht ein Ahnen manchmal durch die Brust,
als hätte sie verpasst jedwede Lust,
dass es sie gebe, wurmt sie unterschwellig.
Doch umso bittrer hasst sie jene Weiber,
die Männer ködern mit dem Reiz der Leiber,
auf sie blickt sie von ihrem Tugendturm.
Nein, Körperschönheit, sie ist da für Künstler,
ist kein Genussmittel für eitle Brünstler,
am Ende steht Verwesung, siegt der Wurm.
Am Fusse einer Treppe sieht sie nun
den toten Emil unter Steinen ruhn,
sie kann’s nicht fassen, fühlt sich ganz zersetzt,
als wäre sie mit Säure übergossen,
gern ritte sie davon wie auf den Rossen
Walküren reiten, heldenblutbenetzt.
Abendrot

Auf ihres Vaters Grab in gelben Astern
umschlang der Jüngling, was sich alabastern
entgegenwölbte mädchenhaft und zart.
Sie konnte sich ihm länger nicht verweigern,
ihm war’s gelungen, seinen Wert zu steigern,
denn Emil hatte sich geoffenbart.
In Minsk beteiligte er sich an dem Wüten,
das heute jeden, auch den abgebrühten,
mit Übelkeit und Grau‘n erfüllen muss.
„Dein Vorbehalt erlischt, denn unsre Väter,
sie waren beide schuldig, beide Täter,
drum schürz die Lippen zum Verlobungskuss!“
Im Abendrot geküsst, geliebt zu werden
vom Liebsten, gibt es Schöneres auf Erden?
Wir alle sehnen uns nach Transzendenz,
nach einer wahren Liebeskathedrale,
nach einem himmlisch-feurigen Finale,
nach dem erlösenden, endlosen Lenz!
Die Kinderfrau mit ihrem grauen Haar,
die mich versorgte, als ich Kind noch war,
malte sich aus und sang dabei Choräle:
ihr Seliger nähm sie auf seinen Arm,
erhöb sie hoch zu Gott, der sich erbarm
der ehebrech‘rischen, doch frommen Seele.
Kann ich dir, liebe Phyllis, je genügen,
werde auch ich dich Heilige betrügen?
Erwachsensein, welch elendes Geschäft!
Wir sind nicht besser, als die Eltern waren
auch wir werden uns dereinst offenbaren –
ob ohne Scham? Das wird ein andres Heft.
Schlafzimmer nachts

Den Wecker, der sich zeigt auf andern Bildern,
vergass ich noch gebührend abzuschildern,
obgleich er ein zentrales Inventar.
Er war stets blau, und wenn die Glocke schrillte
und alle Schläfer flugs mit Panik füllte,
rief er zur Ordnung, was gesetzlos war.
Auf alten Stichen rieselt feiner Sand
durch engen Glaskanal in Knochenhand,
mahnt uns, des Endes eingedenk zu sein.
„Das war schon alles?“, denken wir vielleicht,
„so vieles habe ich noch nicht erreicht“,
doch auf Verhandeln lässt er sich nicht ein.
Der Schlaf, in dem wir vorgeburtlich lagen,
war er nicht süss, von traulichem Behagen?
Was ist der Tod als Einkehr ins Zurück?
Mit Hagen schweben in des Weltraums Leere,
nicht mehr zu spüren lästige Erdenschwere,
ist das nicht ein ganz feines, zartes Glück?
Das Sterben weckt uns auf zu neuem Wesen,
wir satteln einen Flug- und Zauberbesen,
auf in die wirbelnde Walpurgisnacht!
Nein, lass daheim den holzbestielten Zossen,
als Gläser Wassers werden wir zurückgegossen
ins Riesenmeer, das uns hervorgebracht.
Doch immerdar schrillt meiner Kindheit Wecker,
erinnert mich, ist meiner Pflicht Vollstrecker,
er ruft mich eines Tages in das Nichts.
Erspar mir bitte Schmerz und Atemnot!
Dann will ich gerne an Gevatter Tod
mich kuscheln in Erwartung des Gerichts.